Die tote Schwester - Kriminalroman
haben Sie sich aber ein junges Ding geangelt«?
Kojak.
Er riss sich innerlich von ihr los, jetzt konnte er schlecht zurückrudern, auch wenn er sich vielleicht gern noch länger mit ihr unterhalten hätte. Auf die alten Zeiten.
»Was macht Ihr Mann eigentlich, dass er zu so etwas nicht mitkommt?«, hörte er sich plötzlich fragen.
»Oh, hat Samuel Ihnen das gar nicht erzählt? Er ist Polizist, Samuel ist so etwas wie sein Mentor gewesen. Heute Abend wollte er natürlich sowieso lieber die Oscars schauen. Der Vorteil für die Galerie ist, dass an so einem Tag nur Leute kommen, die sich wirklich für unsere Kunst interessieren. Echte potenzielle Käufer.«
»Aber Sie haben die Vernissage nicht aus diesem Grund an diesem Abend gemacht, oder?«, lächelte Zbigniew sie offen an. Er wusste selbst nicht, was genau er damit meinte. In diesem Moment spürte er, wie Lena seine Hand von hinten nahm und ihn zu sich zog.
»Ab ins Hotel«, sagte sie. »Und schau ihr nicht immer auf die Schuhe.«
Sie gaben sich einen langen, innigen Kuss. Zbigniew fragte sich, ob er so lang war, weil Delia zuschaute und Lena ihr Revier markieren wollte.
Aus Lenas Sicht war Delia in seinem Alter, und irgendwie hatte sie recht damit.
»Mach nicht bis in die Nacht«, sagte Zbigniew.
»Ja, Papa«, antwortete Lena, und obwohl sie grinste, hatte er das Gefühl, dass sie ein wenig pikiert war.
Zbigniew verabschiedete sich von den anderen und beschloss, Samuel Weissberg bloß einen Gruß ausrichten zu lassen. Dann ging er. Delia Johannsen winkte ihm vergnügt hinterher.
Auf dem Weg zur U-Bahn beschlich ihn ein ungutes Gefühl. Hatte er richtig gehandelt, konnte man das tun, eine gerade mal Achtzehnjährige allein in New York lassen?
Natürlich konnte man das.
Eigentlich wäre er bloß noch gerne länger mit Delia Johannsen zusammengewesen.
Wenn Lenas Eltern wüssten, dass er ihre Tochter im nächtlichen New York alleine ließ, wären sie sicher nicht begeistert.
Unsinn, Lena war erwachsen. Er musste sich um Lena keine Sorgen machen.
3
Die Oscarverleihung war bereits zu Ende, der Fernsehsender ABC zelebrierte eine jubelerfüllte Nachberichterstattung, als Zbigniew ein Klopfen an der Tür hörte. Schnell sprang er vom Bett auf und öffnete. Lena stand grinsend vor ihm.
»Du hättest ja wenigstens in eine Bar gehen können«, sagte sie.
Sie küsste ihn, ging ins Bad, um sich die Hände zu waschen. Bald kam sie wieder heraus, Zbigniew stellte den Fernseher leiser.
»Und, wie war’s bei dir, was habt ihr noch gemacht?«, fragte er.
»Vergiss es. Du bist nicht mitgekommen, jetzt brauchst du gar nicht so zu fragen.«
»Ich hatte das Gefühl, du wolltest , dass ich nicht mitkomme«, übertrieb er.
Lenas Augenbrauen hoben sich gefährlich.
»Das hab ich nur gesagt, damit du mir widersprichst.«
Zbigniew musste lächeln. Er glaubte Lena zwar nicht, aber es hätte zu ihr gepasst.
»Hat Weissberg noch mal von seiner Schwester angefangen?«
»Du wolltest nichts mehr darüber wissen.«
Zbigniew nickte. Da Lena einigermaßen ernst zu sein schien, akzeptierte er dies.
Die Zeit in New York verging wie im Flug. Über den getrennten Abend verlor das Paar kein Wort mehr, aber Zbigniew hatte das Gefühl, dass irgendetwas zwischen ihnen stand. Er würde es sicherlich noch erfahren; wenn Lena etwas auf der Seele brannte, sprach sie es früher oder später aus.
In der Regel früher.
Auch in den nächsten Tagen trafen Zbigniew und Lena Samuel Weissberg noch ein paar Mal. Zwischen Samuel und Lena schien eine seltsame Verbrüderung eingetreten zu sein, ein gemeinsames Wissen um etwas, das Zbigniew nicht teilen konnte. Dennoch waren die Stunden mit ihm einzigartig – der Ex-Cop zeigte ihnen einige Orte in der Stadt, abseits von ausgetretenen Touristenpfaden. Der Höhepunkt war, dass Weissberg Zbigniew und Lena zu einer Besichtigungstour durch sein altes Polizeirevier mitnahm. »Friends from Germany«, stellte er sie allen mit einem gewissen Stolz vor. Zbigniew begriff allein durch die Samuel gezollte Aufmerksamkeit, dass alle älteren Polizeibeamten ihren ehemaligen Kollegen hoch respektierten.
Er spürte von Tag zu Tag mehr Ermüdungserscheinungen, die durch die Mischung aus zu vielen und zu langen Fußmärschen, zu wenig Schlaf und zu viel abendlichem Alkohol zustande kamen. Während Lena von Tag zu Tag mehr aufblühte, baute Zbigniew kräftig ab. New York schien ihm Energie zu entziehen, während Lena sie von der Stadt aufnahm. So war Zbigniew
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