Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die tote Schwester - Kriminalroman

Die tote Schwester - Kriminalroman

Titel: Die tote Schwester - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Brueggenthies
Vom Netzwerk:
vor Kriegsende zerstört worden war. Die Bewohner des Gehöfts waren allesamt getötet worden. Die Bücher der US -Army, deren dritte Spearhead-Division im März 1945 diese Gegend wie auch Köln befreite, verzeichneten die Toten – aber es war keine Kinderleiche gefunden worden.
    Am Ende der Recherche herrschte pure Verzweiflung und die starke Vermutung, dass Eva Weissberg das Kriegsende nicht überlebt hatte. Samuel war es wichtig, dass die Existenz seiner Schwester offiziell dokumentiert wurde. 1961, damals war Samuel 21, wurde sie schließlich für tot erklärt.
    »Sonst wäre es so, als hätte sie nie gelebt«, sagte er leise.
    Aber die vollständige Gewissheit fehlte, und Samuels Onkel und Tante waren ohne sie ins Grab gegangen.
    »Es ist jetzt so lange her. Aber je älter ich werde, desto schlimmer wird es. Es vergeht kein Tag mehr, an dem ich mich nicht frage, ob sie doch noch irgendwo da ist, meine kleine tote Schwester.«
    Es schien, als hörte Samuel Weissberg einen Moment auf zu atmen, dann fuhr er fort.
    »Ich habe mich sogar ins Internet eingearbeitet, ich dachte, dass ich dort vielleicht noch etwas erfahren könnte. Immerhin weiß ich jetzt, dass ich nicht der Einzige bin, der auch heute noch Verwandte aus dem Krieg vermisst … Es gibt diverse Gruppen im Netz, die sich zusammengeschlossen haben. Aber weitergebracht hat mich das ansonsten nicht.«
    »Waren Sie auch mal selbst in Deutschland?«, fragte Lena.
    Weissberg nickte.
    »Natürlich, das war der schlimmste Teil der Recherche. Ich war dort mit dem Freund meines Vaters, der nach dem Zweiten Weltkrieg in die USA emigriert ist. Er hat mich sehr unterstützt. 1960 waren wir fast vier Wochen in Deutschland, in Büsdorf, Köln, München und an vielen anderen Orten, um nach Eva zu suchen. Aber wir haben keine Spur gefunden, die wir hätten weiterverfolgen können. Ich musste dann 1961 noch vor dem Amtsgericht aussagen, weil man mir zunächst nicht glaubte, dass eine Eva Weissberg jemals existiert hatte.«
    »Wo sie schließlich für tot erklärt wurde.«
    Samuel nickte.
    »Es schien damals das Richtige zu sein. Und ich dachte, es würde einen Schlussstrich für mich ziehen. Hat es vielleicht auch, für fast fünfzig Jahre.«
    Er lachte bitter.
    »Und heute, heute weiß ich sogar ein paar Dinge mehr über meine kleine tote Schwester. Dinge, mit denen ich hinüberfahren könnte, um noch ein paar Fragen nachzugehen. Aber ich bin zu alt dafür, ich schaffe es nicht mehr.«
    Zbigniew sah ihn an, wunderte sich einen Augenblick. Samuel Weissberg wirkte wie der rüstigste Siebzigjährige, den er jemals gesehen hatte. Nicht vorstellbar, dass er sich zu alt für eine solche Suche fühlte. Zbigniew wagte aber nicht nachzufragen.
    Dies war der Moment gewesen, in dem Weissberg ihm in die Augen gesehen hatte, fast scheu.
    »Wenn Sie als deutscher Polizeibeamter natürlich … «
    Mitten im Satz war er verstummt. Zbigniew hatte begriffen, dass Weissberg die Grenzüberschreitung schon beim Aussprechen unangenehm war. Die Grenzüberschreitung, ihn, den ihm unbekannten Kölner Kriminalbeamten, hier und jetzt um Hilfe zu fragen, nachdem er selbst sein Leben lang des Rätsels Lösung nicht gefunden hatte.
    Zbigniew hatte in einer spontanen Geste den Kopf geschüttelt.
    »Ich glaube nicht, dass ich Ihnen da helfen kann«, hatte er sofort gesagt, »ich bin bei der City-Polizei, wir machen ganz andere Dinge.«
    Lena hatte ihn daraufhin böse angeschaut, doch sie hatte geschwiegen.
    Sie war auch jetzt, im Hotelzimmer, noch einigermaßen sauer. Lena war der Typ Mensch, der immer helfen würde. Sie hatte noch nicht erlebt, dass es im Leben Situationen gab, in denen man machtlos war. Eine solche Vorstellung war für sie schwer erträglich.
    Nun warf sie sich neben ihn aufs Bett, holte ihren Reiseführer aus dem Rucksack. Sie drehte sich auf den Bauch und begann, in dem dicken grünen Buch zu blättern. Meatpacking District, las Zbigniew aus der Ferne, der Ort, wo die Vernissage stattfinden würde.
    »Melville war im Meatpacking District Zollinspektor«, sagte sie.
    »Moby-Dick-Melville?«
    »Genau der. 1850 war da noch die größte Fleischverarbeitungsproduktion in Amerika. Und seit 1940 oder so ging das runter, das Viertel verrottete, Kriminalität, Drogen … und es wurde einer der gefährlichsten Orte von New York.«
    »Und da machen die eine Vernissage?«
    »Warte, geht noch weiter … in den Neunzigern wurde das Viertel gesäubert – hier steht echt ›gesäubert‹. Jetzt

Weitere Kostenlose Bücher