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Die tote Schwester - Kriminalroman

Die tote Schwester - Kriminalroman

Titel: Die tote Schwester - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Brueggenthies
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nicht ganz verstanden hatte.
    »Aber so wie du es erzählst, ist das doch noch wichtiger als alles andere, was die Polizei da ermittelt«, sagte sie schließlich.
    »Weiß ich nicht. Ob man das so sagen kann. Die Terrorismus-Theorie oder die Rache-Theorie sind eventuell auf den ersten Blick wahrscheinlicher.«
    Einen Moment lang sahen sie sich schweigend an, dann holte Zbigniew sein Handy hervor.
    Die Uhrzeit leuchtete ihm entgegen.
    Minus sechs Stunden.
    Es war in New York erst kurz nach sieben Uhr früh.
    Samuel Weissberg, er war sicherlich Frühaufsteher.
    Zbigniew wählte seine Nummer. Es tutete eine Weile, niemand nahm ab. Weissberg war nicht erreichbar.
    Delia, sie würde dagegen noch schlafen.
    Er steckte das Telefon wieder in seine Jackentasche.
    »Zu früh dort«, sagte er.
    Tonia sah ihn an, als wollte sie ihm sagen, dass er eine grundsätzlich falsche Haltung zu den Dingen hatte.
    »Hier ist es nicht zu früh«, sagte sie.
    »Ich hätte noch nicht mal einen Startpunkt.«
    »Du hast doch schon einiges«, meinte Tonia.
    Sie hielt inne, als ob sie darüber nachdachte, wie sie den nächsten Satz aussprechen sollte. Vielleicht waren es aber auch die Erinnerungen an ihre Ehe, die sie kurz stocken ließen.
    »Mein Mann war ein guter Freund des Direktors vom Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsarchiv«, sagte sie schließlich. »Wenn du willst, ruf ich den an.«
    Zbigniew nickte, ohne zu fragen, was dies bringen könnte.
    Es war ihm von allein klar.
    Lena würde ihren Willen bekommen.
    Eine Stunde später betraten Zbigniew und Tonia die Industrie- und Handelskammer zu Köln, in der das Rheinisch-Westfälische Wirtschaftsarchiv beheimatet war. Ein dezentes Schild wies zum » RWWA « in den dritten Stock. Zbigniew und Tonia gingen durch einige nüchterne Flure, zweckmäßige Nachkriegsarchitektur, bis Tonia schließlich die richtige Tür fand. Sie klopfte. »Dr. Ulrich Calusius« behauptete das Namensschild, was Zbigniew ein wenig befremdlich fand.
    »Ja«, befahl jemand mit tiefer, dröhnender Stimme von drinnen.
    Zbigniew und Tonia traten ein. Ein leicht korpulenter Mann, etwas älter als Zbigniew, stand von seinem Schreibtisch auf. Er ging auf Tonia zu und presste sie fest an sich; sein schwarzer Zwirbelschnurrbart und die ulkige Hornbrille drückten sich dabei noch fester an sein Gesicht.
    »Tonia«, sagte er zu ihr in einem Ton, als ob sie aus einem Krieg lebendig heimgekehrt wäre.
    Die beiden ließen gar nicht voneinander ab, eine innig-tröstende Umarmung, die kein Ende nahm.
    Zbigniew vermutete, dass er sie das erste Mal seitdem sah.
    Tonia war von ihrem Mann vor einem halben Jahr verlassen worden. Olaf Lindner, einer der Top-Architekten von Köln, war auf eine sehr unangenehme Weise in einen Skandal um die Umgestaltung des Barbarossaplatzes in Köln verwickelt gewesen. Er hatte ein Flugzeug in die Mongolei genommen und war bislang nicht wieder aufgetaucht. Seitdem stand Tonia allein da mit der Wohnung, ihrem Sohn Timo und dem Architekturbüro. Was aus der Firma geworden war, wusste Zbigniew nicht; Tonia hatte ihrem Mann bei seinen Geschäften geholfen, nicht ahnend, dass es hinter der Fassade auch eine dunkle Seite seiner Tätigkeiten gab.
    Das Großprojekt Barbarossaplatz war inzwischen aus anderen Gründen auf unbestimmte Zeit verschoben worden. Die Europäische Union hatte beanstandet, dass der Architekturwettbewerb der Stadt Köln nicht europaweit ausgeschrieben worden war, sondern nur ein paar lokale Architekten einbezogen hatte. Das Verfahren dauerte an, doch es schien sicher, dass die Stadt bei dieser Auseinandersetzung nicht als Sieger hervorgehen würde. Zurzeit schrieb sich kein Politiker den Barbarossaplatz auf seine Fahne.
    Zbigniew war nicht unschuldig an der Entwicklung, die die Dinge damals genommen hatten.
    Vermutlich hatte Tonia an all den Vorfällen zu knabbern, sowohl emotional als auch – ganz profan – finanziell. Zbigniew hätte sich niemals getraut, Tonia danach zu fragen, obwohl er ihr im letzten halben Jahr immer wieder in der Nachbarschaft begegnet war. Was wirklich in ihrem Leben vorging, das wusste er nicht. Sie hatten einige Male oberflächliche Gespräche geführt, aus denen Zbigniew das Gefühl mitnahm, dass sie alles im Griff hatte. Aber das konnte natürlich täuschen.
    Endlich ließ der Schnurrbart Tonia los, schüttelte Zbigniew mit stählernem Griff die Hand, warf ihm ein freundliches Lächeln ins Gesicht.
    »Wie kann ich helfen? Geht es um Olaf?«, fragte er

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