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Die tote Schwester - Kriminalroman

Die tote Schwester - Kriminalroman

Titel: Die tote Schwester - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Brueggenthies
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nicht mehr geweint.
    Es war ein Fehler gewesen, hierherzukommen, schoss es durch seinen Kopf, doch dann waren die Emotionen so groß, dass er an gar nichts mehr denken konnte. Er saß einfach auf dem Stuhl, den Blick auf irgendein Nichts gerichtet, und weinte. Das Beben seines Körpers ließ nicht nach. Er nahm die Umwelt um sich herum nicht mehr wahr. Alles war gleichgültig geworden. Sollten die Menschen sich nur wundern, es war egal. Sein Schmerz war mit nichts zu vergleichen, was die Menschen um ihn herum erlitten.
    Der Schmerz.
    Zbigniew hatte kein Gefühl dafür, wie lange er dort so saß. Er wusste noch nicht einmal, ob er selbst es war. Dann spürte er plötzlich, wie jemand in seinen Arm kniff. Er schrak auf, blickte nach rechts. Tonia hatte sich neben ihn gesetzt.
    Zbigniew kam zu sich, hörte auf zu weinen. Er wischte notdürftig mit dem linken Handrücken die Tränen aus seinem Gesicht.
    Tonia nahm seine rechte Hand, hielt sie fest. Ihre Wärme strömte in seinen Körper hinein, das Beben hörte langsam auf.
    Ein paar Minuten lang saßen sie so da. Niemand sagte etwas, nur die Geräuschkulisse des Flughafens kehrte wieder in Zbigniews Bewusstsein zurück.
    Schließlich, nach einigen befremdlichen Minuten, ergriff Tonia das Wort.
    »IchkanntemaleinenMann«,begannsiemiteinemmerkwürdigsanftenAusdruckimGesicht.Siesprachsehrlangsam,zögerlich,beimSprechendarübernachdenkend,wassiesagenwürde.»EinenMann,dereigentlicheinganznormalerMenschwar.AberdannpassierteetwasSchreckliches.UndderMann,obwohlesihngarnichtselbstbetraf,derMannistimmerweitergegangen,einenunendlichlangenWeg,umdasSchrecklichewiedergeradezurücken.DerMannistübersichhinausgewachsen,hatdenSchreckenbeseitigt.«
    Sie lächelte ihn nun an. Zbigniew schaffte es kaum, ihrem so sanften Blick standzuhalten, schaute auf den Boden.
    »Er hat das Leben für eine Frau und ein Kind wieder lebenswert gemacht. Er hat beide gerettet, indem er einfach weitergegangen ist, ohne Unterlass. Auch als alle gesagt haben, dass es aussichtslos sei. Auch als er selbst glaubte, dass es aussichtslos sei.«
    Zbigniew spürte, wie Tonia ihn ansah, ihn aufforderte, auch sie anzusehen. Doch er war dazu nicht in der Lage.
    Der Boden. Der untere Teil einer Drehtür, durch die nun Schuhe hindurchgingen.
    Bildfragmente.
    Dies hier war eine völlig andere Aussichtslosigkeit. Dies war die Angst um das Leben seiner Freundin.
    Er hatte feuchte Finger. Tonia musste es spüren, seine Hand in ihrer Hand. Lena hatte es auch gespürt, vor wenigen Tagen, bevor sie auf das Rockefeller Center gefahren waren.
    Sie schwiegen eine Zeit lang.
    »Ich weiß nicht, was ich tun soll«, sagte er schließlich. »Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll.«
    Zbigniew spürte, dass Tonia ihren Blick von ihm abwandte. Eine Gruppe von Kindern zog an ihnen vorbei, lärmend, mit einigen erwachsenen Begleitpersonen, die die Kinder nicht minder lautstark zur Ruhe aufforderten. Sie verschwanden durch die Drehtür nach draußen.
    Schuhe, die sich durch die Tür nach draußen bewegten.
    »Hör auf deinen Bauch«, sagte Tonia schließlich.
    Sie ließ seine Hand los.
    Sein Blick fiel auf die Anzeigetafel über dem Ankunftsbereich. Er stand auf, trat einen Schritt nach vorne.
    »Alles ist besser, als hier herumzusitzen und sich selbst zu bemitleiden«, hörte er Tonia von hinten sagen. »Oder erfolglos zu betteln, doch in die Ermittlungskommission reinzukommen.«
    Es traf Zbigniew wie ein Hammer vor den Kopf.
    Tonia hatte natürlich recht. Natürlich hatte sie recht.
    »Ich helfe dir auch, wo ich kann. Ich unterstütze dich.«
    Oben auf der Tafel wurde ein Flugzeug angezeigt, das aus Amsterdam kam. Bestimmt waren Menschen aus New York dabei.
    E-D-I-N-A.
    Immermann 23.
    Eva Weissberg, das große Rätsel seines Lebens.
    Hatte Delia Johannsen Samuel schon aufsuchen können?
    Zbigniew drehte sich zu Tonia, fragte, ob er sie auf ein Sandwich einladen könne. Er war hungrig. Tonia nickte.
    Sie setzten sich in das Café im Ankunftsbereich, dicht nebeneinander auf Barhocker. Zbigniew erspähte am hinteren Teil der Theke die Kellnerin, die er am Vortag kurz befragt hatte. Sie schien ihn nicht wiederzuerkennen.
    Bei einem kleinen Mittagessen und einem Getränk erzählte Zbigniew Tonia alles. Wie Samuel Weissberg sie angesprochen hatte, ihnen seine Lebensgeschichte erzählt hatte. Er berichtete von der Vernissage und dem Streit mit Lena. Tonia war eine gute Zuhörerin; sie ließ ihn ausreden, fragte gelegentlich nach, wenn sie etwas

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