Die tote Stadt: Frankenstein 5: Roman (German Edition)
Jocko liebte Hüte.
Deucalion – das tollste Monster überhaupt, Victors Erstling, Mentor und Experte, die reinste Legende! – hatte Jocko eine wichtige Aufgabe anvertraut. Sich in die geschützten Unterlagen des Kraftfahrzeugamts einzuhacken. Herauszufinden, wer der Besitzer eines blau-weißen Lieferwagens mit einem bestimmten Kennzeichen war.
Jocko gehörte zum Team. Wurde gebraucht. Würde vielleicht ein Held sein.
In der Vergangenheit war Jocko manchmal ein Blindgänger gewesen. Ein Reinfall. Ein Versager. Ein Blödmann. Ein Schwachkopf, ein Idiot, ein Trottel, ein Einfaltspinsel, ein Gimpel.
Aber all das lag jetzt hinter ihm. Jetzt würde er dafür sorgen, dass seine Mutter stolz auf ihn sein konnte.
Erika war nicht seine leibliche Mutter. Ehemalige Tumore hatten keine echten Moms. Sie hatte ihn inoffiziell adoptiert.
Sie unternahmen nicht wie andere Mütter mit ihren Kindern Ausflüge in den Park. Und sie fuhren auch nicht in die Stadt, um Eis zu essen. Wenn es einmal vorkam, dass Menschen Jocko sahen, wollten sie ihn auf der Stelle mit Stöcken hauen. Mit Spazierstöcken, mit Regenschirmen, mit Eimern, mit allem, was sie zur Hand hatten. Bisher schien Jocko keines dieser Monster zu sein, die von den meisten Menschen gefürchtet, aber auch gemocht wurden. Um seine Sicherheit zu gewährleisten, beschränkte sich Jockos Bewegungsspielraum auf dieses Haus und die sechzehn Hektar Land, die dazugehörten.
Erika Fünf, die jetzt den Namen Erika Swedenborg angenommen hatte, war die fünfte von fünf identischen Ehefrauen, die Victor in seinen Schöpfungstanks in New Orleans gezüchtet hatte. Die ersten vier hatten sein Missfallen erregt. Sie waren beseitigt worden. Victor hielt nichts von Scheidungen. Erika Fünf hatte ebenfalls sein Missfallen erregt. Aber sie war in der Nacht entkommen, in der Victors teuflisches Imperium zusammengebrochen war. Und obendrein hatte sie einen Haufen von seinem Geld mitgenommen. Sie war die einzige Angehörige seiner Neuen Rasse, die diese Katastrophe überlebt hatte.
Plötzlich knackte Jocko den letzten mehrstelligen Sicher heitscode des Kraftfahrzeugamtes so mühelos wie eine Nuss, und er war drin.
»Banzai!«, schrie er.
Er gab das Kennzeichen des Lieferwagens ein und forderte Angaben zur Identität des Fahrzeughalters an. Die Information erschien auf dem Bildschirm.
» Heißa! Hurra! Hurra!«
Der Lieferwagen gehörte einer gemeinnützigen Körperschaft namens Fortschritt für vollkommenen Frieden . Das klang hübsch. Warm und behaglich. Fortschritt war etwas Gutes. Vollkommener Frieden war etwas Gutes. Sogar ein Monster mit zitronengelben Augen und so gut wie keiner moralischen Erziehung konnte sehen, was für gute Dinge das waren.
Fortschritt für vollkommenen Frieden hatte eine Adresse. In Rainbow Falls. Jocko druckte sie aus.
Nachdem er sich aus dem Kraftfahrzeugamt zurückgezogen hatte, suchte er nach der Website von Fortschritt für vollkommenen Frieden . Es gab keine. Das kam ihm eigen artig vor. Verdächtig. Eine wohltätige Organisation sollte eine Website haben. Jeder hatte eine Website.
Sogar Jocko hatte eine Website: www.jockothinksaboutlife.com. Wenn er eine wichtige Erkenntnis über das Leben gewann, postete er sie dort. Vielleicht konnten seine Gedanken anderen Leuten helfen. Gerade erst vor ein paar Tagen hatte er gepostet: Lecker sind alle Muffins, aber manche sind noch leckerer als andere – was keine Beleidigung für die nicht ganz so leckeren Muffins ist und sie auch in keiner Weise herabsetzen soll. So ist es nun mal im Leben. Ich mag meine mit Marmelade.
Jocko sah im Staatsarchiv unter Körperschaften in Mon tana nach. Da brauchte er sich nicht einzuhacken. Fortschritt für vollkommenen Frieden hatte eine Adresse. Sie stimmte mit der aus dem Kraftfahrzeugamt überein.
Der Geschäftsführer war Victor Leben. Der Name war kein Zufall. Victor Frankenstein. Dann Victor Helios. Jetzt Victor Leben. Victor.
»Heiliger Bimbam!«
Auf dem Bildschirm schien das o in Victor ein Auge zu sein. Das Jocko beobachtete. Victor würde wissen, dass Jocko ihn gefunden hatte. Victor wusste alles.
Jocko trug ein T-Shirt mit dem Bild von Buster Steelhammer, dem größten Star in der Geschichte des World Wrestling Entertainment. Das T-Shirt machte ihm normalerweise Mut. Jetzt nicht.
Das o in Victor . Das ihn beobachtete. Unmöglich. Aber Victor konnte alles hinkriegen. Victor war allwissend.
Schlecht. Ganz schlecht. Fürchterlich. Katastrophal! Plötz lich
Weitere Kostenlose Bücher