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Die Tote vom Johannisberg

Die Tote vom Johannisberg

Titel: Die Tote vom Johannisberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
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weiblicher Psyche auskennt. Am besten eine Frau. Jutta.
    *
    Anderthalb Stunden später kam ich keuchend am Platzhoff-Denkmal an. Die steile Sadowastraße war einfach zu viel für einen unsportlichen Menschen wie mich. Und wenn ich es auch schaffte, den Steilhang ohne Pause zu Fuß zu absolvieren, mußte ich wenigstens hier oben ein Päuschen einlegen.
    Am Haus Nummer sieben hatte ich wie immer Else Lasker-Schüler gegrüßt - unbekannterweise, denn ich hatte noch nie etwas von ihr, die dort zur Welt gekommen war, gelesen. Wahrscheinlich ging das den meisten Wuppertalern so. Aber man wußte wenigstens, daß sie bedeutend gewesen war.
    Ich spürte, wie mir der Schweiß den Rücken hinunterlief und einen fiesen Juckreiz verursachte. Ich kämpfte gegen die Versuchung, einfach die Jacke auszuziehen, denn damit wäre eine Erkältung unvermeidlich gewesen.
    Wie schon so viele Male zuvor las ich auf der Steintafel des Denkmals, daß die Anlage auf der Briller Höhe 1874 angelegt worden war, und das aufgrund der maßgeblichen Initiative von Gustav Platzhoff, der damals dem Verschönerungsverein vorsaß. Ob dieser Platzhoff gewußt hatte, daß man nach zwei Weltkriegen das Briller Villenviertel als etwas ganz Besonderes feiern würde?
    Ich drehte mich zur Stadt hin und versuchte die Aussicht zu genießen. Das war nicht ganz leicht, denn ich war hier zwar in einer der nobelsten Gegenden Wuppertals, doch der Rest der Stadt, der sich unter mir ausbreitete, hatte nicht viel von den Ambitionen des Verschönerungsvereins abbekommen. Man hatte vielmehr dessen Arbeit nach dem Zweiten Weltkrieg zunichte gemacht.
    Um so schöner waren die Häuser ringsherum: Majestätisch thronten sie in gepflegten, abschüssigen Gärten und schienen wie steinerne Könige in die Weite zu blicken. Es gab glänzende Schieferdächer, Efeu-überwachsene Mauern, dazwischen hin und wieder einen Block mit Eigentumswohnungen oder auch moderne Bungalows. Menschen waren nicht zu sehen.
    Ich bog links in die Straße ein, die weiter den Berg hinaufführte, und kam an etlichen Schildern vorbei, die darauf hinwiesen, daß die weitläufigen Hauszufahrten ausschließlich »für Berechtigte« gedacht seien und daß es außerdem - wahrscheinlich eine Warnung an verirrte Jugendliche - hier auf gar keinen Fall zum Sportplatz ging.
    Ich war Berechtigter. Ich passierte die schmiedeeiserne Pforte und betrat eine Treppe. Sie führte zu Juttas Wohnung hinauf, die den größten Teil eines der alten Häuser ausfüllte. Nach genau vierundfünfzig Stufen hatte ich es geschafft: Ich stand vor der modernen, mit Metallstreben verzierten Haustür. Der Schmuck war eine geschmackvolle Art, Diebe abzuwehren. Die Zierde bestand aus Stahl, an dem man an die acht Stunden zu sägen hatte, um ihn durchzubekommen. Ich drückte den Klingelknopf aus Messing. Innen ertönte ein dunkelgefärbtes Ding-Dong.
    Keine zehn Sekunden später rührte sich etwas hinter dem Milchglas. Die Tür schwang auf, und vor mir stand ein dunkelhaariger Jüngling, der aussah, als arbeite er als Model für »Playgirl«. Da er nur ein schmales Handtuch um die Hüften trug, waren seine körperlichen Kräfte leicht einzuschätzen. Er schob einen Schwall eines eigenartigen Geruchs vor sich her. Es mußte irgendein exotisches Rasierwasser oder Duschgel sein - ein Gemisch aus fauligem Obst und Landluft. Mir verschlug es fast den Atem.
    Er machte sich nicht die Mühe, mich anzusprechen, sondern nickte nur kurz fragend.
    »Ist Jutta da?« fragte ich.
    »Wer will das wissen?« Er wechselte gelangweilt Stand- und Spielbein.
    Ich hasse es, wenn Fragen mit Gegenfragen beantwortet werden. Wahrscheinlich eine Berufskrankheit. Also machte ich mit einer Gegen-Gegenfrage weiter: »Was soll der Quatsch?«
    Ich hatte keine Lust, nach dem Gewaltmarsch länger vor der Tür zu stehen. Ich trat einen Schritt vor und wollte einfach in die Wohnung gehen, doch ein kurzer Griff des anderen vermittelte mir das Gefühl, vor eine Betonwand gelaufen zu sein. Wahrscheinlich war er so etwas Kompliziertem wie Gegen-Gegenfragen intellektuell nicht gewachsen.
    Ich versuchte, mich loszumachen, kam ins Taumeln und wäre beinahe die vierundfünfzig Stufen wieder hinuntergefallen. In diesem Augenblick hörte ich Juttas Stimme aus der Tiefe der weitläufigen Wohnung.
    »Tom, hör auf, das ist bloß Remi. Remi, komm rein.« Es klang, als würde sie Hunden Befehle geben.
    »Wer ist Remi, verdammt noch mal?« schimpfte der Dunkelhaarige, als ich nun unbehelligt

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