Die Tote vom Johannisberg
kleines Kind, mußte sie bei entsprechenden Anlässen immer zeigen, was sie konnte. Er hat sie vorgeführt wie einen abgerichteten Schimpansen. Für die Geschäftsfreunde mußte sie Klavier spielen. Ich hab sie selbst mal gehört. Sie war ziemlich gut.«
»Du warst schon mal in dieser Totengruft auf der Luhnsfelder Höhe?«
»Einmal, ja. Es war irgendein kleiner Empfang. Ich glaube, Mallberg wurde fünfzig oder so was. Damals lebte Heinz noch.«
»Warum haben sie sie dann überhaupt an die Hochschule gelassen? Wie kann ein Mädchen in dieser Umgebung professionelle Musikerin werden?«
»Keine Ahnung. Am Anfang hat es mit Sicherheit Ärger gegeben. Sie war aber wohl schon in der Schule ziemlich begabt. Ganz bestimmt werden die Lehrer ihren Einfluß geltend gemacht haben. Und weil es ja nun nicht gerade das Schlechteste ist, wenn sich die Tochter mit Beethoven und Bach beschäftigt, werden Mallbergs es zugelassen haben. Sie hätten ihr sicher nicht erlaubt, eine Rockband zu gründen.«
»Oder Groschenromane zu schreiben. Man fragt sich, was solche Leute eigentlich mit ihrem ganzen Geld machen. Viel Spaß scheinen sie sich nicht damit zu gönnen.«
»Anlegen. Für schlechte Zeiten.«
»Und für die nicht mehr vorhandenen Kinder. Statt dessen behandeln sie ihre fast dreißigjährige Tochter wie ein Kleinkind und schenken ihr Geld für einen Computer, so wie andere Kinder etwas für die Modelleisenbahn oder das Fahrrad dazubekommen. Eine Sache verstehe ich nicht.«
»Was?«
»Warum hat sie diese Romänchen überhaupt geschrieben? Warum gibt sich eine klassische Pianistin mit solchem Schund ab?«
»Sie war ja keine Pianistin. Sie durfte nicht richtig auftreten, und sie wurde immer gegängelt. Ihre Kreativität hat sich vielleicht einen anderen Weg gesucht.«
»Aber warum konnte sie nicht richtige Bücher schreiben?«
Jutta zuckte die Achseln. »Welchen Eindruck hattest du von ihr? Einen intellektuellen?«
»Nein, überhaupt nicht. Sie wirkte eher ängstlich. Und überfordert mit der Realität. Naiv.«
»Siehst du. Dann paßt das doch.«
»Und warum benutzte sie mir gegenüber ihr Pseudonym?«
»Ich könnte mir vorstellen, weil das die Identität war, in der sie sich wohler fühlte. In der sie sie selbst war. Vielleicht hat sie es sogar unbewußt getan.«
»Du meinst die Identität, in der sie zum Beispiel Groschenromane schrieb und schreibend von der großen Liebe träumte?«
Jutta nickte. »Zum Beispiel. Oder eben auf eigene Faust Hilfe bei einem Privatdetektiv suchte.«
»Wenn sie nicht eine Stimme von außen davon abhielt.«
Ich erzählte ihr von dem plötzlichen Handy-Anruf.
»Das war bestimmt ihr Vater«, mutmaßte Jutta.
Ich schüttelte den Kopf. »Die Mutter sagte, sie hätte gar kein Handy besessen. Hätte der Vater es gewußt, hätte auch die Mutter es mitbekommen. Warum sollte er das geheimhalten?«
»Was willst du als nächstes machen?«
»Ich muß nachsehen, was auf der Diskette ist. Vielleicht bringt mich das weiter.«
Langsam gingen wir wieder zu Juttas Wohnung zurück. Ab und zu begegneten uns ein paar alte Leute, die ihre Hunde ausführten.
»Möchtest du mal was ganz Tolles sehen?«
»Immer«, antwortete ich.
Jutta öffnete die gläserne Wohnungstür. Gleich daneben führt eine Treppe abwärts. Hier ging es zur Garage, die - wie ich wußte - Juttas BMW beherbergte. Wir gingen hinunter, Jutta machte Licht.
»Na, was sagst du?«
Ich pfiff durch die Zähne. Jutta hatte sich schon wieder ein neues Spielzeug zugelegt. An der Wand stand ein Motorrad. Eine Geländemaschine.
»Hast du dafür überhaupt einen Führerschein?«
»Mache ich bald. Bis dahin muß das Ding hier noch herumstehen. Es ist absolut fahrbereit. Nur das Nummernschild fehlt noch.«
Es war ein besonders feines Gefährt. Eine KTM Enduro. Freiheit und Abenteuer - auch querfeldein. Nagelneu. Kein bißchen Dreck an den schmalen Stollenreifen. Es schrie geradezu danach, mal so richtig durch den Matsch gefegt zu werden.
»Klar, wer so arm ist wie du, kauft sich so was und spart dann die Steuer, statt seinen Neffen ein bißchen damit herumkurven zu lassen. Durch welches Gelände willst du damit eigentlich brettern?«
»Mal sehen. Da wird sich im Bergischen ja was finden. Und vielleicht laß ich dich ja auch mal - wenn du brav bist.«
Später am Abend blieb ich noch bei Jutta zum Fernsehen. Ein bißchen Sorgen machte ich mir wegen der Katze. Ich hatte ihr das Fenster aufgelassen und Futter hingestellt. Trotzdem würde
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