Die Tote vom Johannisberg
Computer war ein Brief gespeichert, in dem sie darüber schrieb. Haben Sie den Brief nicht bekommen? Er war an Sie gerichtet.«
»Nein«, sagte sie erstaunt. »Das ist ja schrecklich. Wann hat sie den Brief geschrieben?«
»Das weiß ich im Moment noch nicht. Aber es ist bestimmt nicht lange her. Sehen Sie - es könnte ja sein, daß es etwas mit ihrem merkwürdigen Tod zu tun hat. Obwohl dieser Umstand natürlich auch die Theorie untermauern könnte, die als die offizielle gilt. Ich meine, daß Regina Selbstmord begangen hat. Immerhin war die Schwangerschaft für die Eltern wohl skandalös.«
Sie sah mich skeptisch an. »Für wen arbeiten Sie eigentlich?«
»Das kann ich Ihnen leider nicht sagen. Ich kann Sie nur bitten, mir zu helfen. Natürlich werde ich ebenfalls für mich behalten, daß Sie mir Informationen gegeben haben.« Ich dachte, daß sie mich wie all die anderen auch nach meiner Lizenz fragen würde. Ich kramte die Karte heraus und legte sie auf den Tisch. Birgit Jungholz warf einen kurzen Blick darauf, schien dem Dokument jedoch keine weitere Bedeutung beizumessen. Sie seufzte, starrte auf die knallrote Tomatentischdecke und malte abwesend mit ihren Fingern die Ränder der Früchte nach.
»Ich wußte wirklich nicht, daß Regina ein Kind erwartete.« Dann schien ihr etwas aufzufallen, und sie hob überrascht den Kopf. »Woher haben Sie eigentlich meinen Namen?«
»Ich habe mit Frau Mallberg gesprochen und sie nach Reginas Freunden befragt.«
Birgit Jungholz machte weiter mit den Fingerübungen. »Ja, ja, die Mallberg. Alte Schreckschraube. Sicher hat sie nichts Gutes über mich gesagt. Was hat das damals für einen Ärger gegeben.« Sie sah versonnen in ihre Tasse.
»Ärger?«
Sie lachte, aber es klang böse. »Als ich das erste Mal schwanger wurde. Da war ich noch etwas jung, wissen Sie. Es gab einen Riesenkrach im Beirat der Schule, und meine Eltern waren natürlich auch völlig hilflos. Mallbergs waren auch im Elternbeirat. Er war sogar Vorsitzender. Sie haben eine regelrechte Hexenjagd gegen mich veranstaltet. Daß ich von der Schule ging, reichte ihnen immer noch nicht. Sie wollten nicht, daß Regina sich mit mir traf.«
»Aber Daniel ist doch erst…« warf ich ein.
»Der ist zwei Jahre alt«, sagte Birgit Jungholz, und in ihrer Stimme schwang ein wenig Stolz mit. »Er ist mein zweites Kind. Meine Tochter wird zwölf. Sie ist gerade was einkaufen.« Sie sah zur Uhr, die an der Wand über der Tür hing. »Eigentlich müßte sie bald nach Hause kommen. Dann wird bei uns gemeinsam das Abendessen vorbereitet. Da lernt die Kleine gleich was. Nicht ganz einfach für eine alleinerziehende Mutter, wissen Sie.«
Ich verkniff mir die Frage nach dem Vater oder nach den Vätern der Kinder.
»Wenn ich Sie richtig verstehe, hat Ihre Freundschaft mit Regina Mallberg gehalten, obwohl deren Eltern dagegen waren?«
»Ich glaube, ich war die einzige Freundin, die sie hatte. Mir hat sie alles erzählt - auch wie schlecht sie mit den anderen Studenten an der Musikhochschule zurechtkam. Das lag natürlich daran, daß ihre Eltern ihr nichts erlaubt haben. Sie durfte sich keine eigene Wohnung suchen, sie durfte nicht ausgehen, sie durfte gar nichts. Dabei war sie unheimlich begabt, ein richtiges Wunderkind. Das habe ich in den Gymnasiumsjahren noch selbst miterlebt. Keine Schulfeier, bei der sie nicht Klavier gespielt hätte. Und sie war natürlich der Liebling der Lehrer.«
»Warum hat sie so lange studiert? Wenn sie so begabt war?«
»Als sie dann älter wurde, hatte sie es schwerer. Wunderkinder sind was Besonderes, ihnen fällt alles in den Schoß. Aber wenn sie erwachsen werden, müssen sie mit den anderen mithalten, und das ist nicht so leicht. Der Bonus, den man als Frühbegabung bekommt, ist dann weg. Es ist ihr an der Musikhochschule mehr schlecht als recht gelungen, sich durchzusetzen. So was gibt es oft. Und außerdem - was hätte sie tun sollen? Sie hat sich hinter ihrer Musik regelrecht verschanzt.«
Ich schwieg. Birgit Jungholz war gerade im Erzählschwung, und ich wußte aus Erfahrung, daß es sehr ungünstig war, jemanden dabei zu unterbrechen. Zum Glück war jetzt auch Ruhe in die Wohnung eingekehrt. Daniel schien nebenan eingeschlafen zu sein, und so hörte man nur die Geräusche, die aus dem Viertel heraufdrangen. Irgendwo unterhielten sich Leute auf der Straße. Ferne Musik.
»Unglaublich«, erzählte Birgit Jungholz weiter, »unglaublich, was die Kommilitonen mit ihr gemacht haben.
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