Die Tote vom Johannisberg
gelesen?« fragte er dann.
»Äh - ja«, sagte ich. Dabei hatte ich es immer noch nicht getan.
»Gut. Ich habe also Ihr Wort, daß wir Ihre Information bekommen?«
»Das haben Sie. Und ich darf mir den Abschiedsbrief ansehen?«
Ein komisches Geräusch kam aus dem Hörer. Ich erkannte nicht sofort, daß Krüger lachte. »Dürfen Sie. Morgen früh um acht Uhr in meinem Büro im Polizeipräsidium. Bis dann.« Er legte auf.
Ich verstand überhaupt nichts. Nur die Ruhe, sagte ich mir. Jetzt wird erst mal weiter telefoniert. Ich versuchte es wieder bei Birgit Jungholz und hatte Glück. Sie war gleich am Apparat und hatte nichts dagegen, daß ich heute abend noch vorbeikommen würde. Sie gab mir ihre Adresse.
Ich ging hinüber zum Kiosk am Laurentiusplatz, um endlich Zeitungen zu beschaffen. Schon als ich von weitem den Titel der Bild zu Gesicht bekam, ahnte ich, was Krüger so belustigt hatte. Die Schlagzeile bestand nur aus zwei Wörtern: »DER BRIEF«.
Die Journalisten hatten gute Recherchearbeit geleistet. Irgendwie waren sie an Reginas letzte Worte gekommen. Gleich auf der ersten Innenseite sah man einen reproduzierten Ausschnitt des Schriftstücks. Wenige Zeilen in runder Jungmädchenschrift. Der gesamte Inhalt war im Text abgedruckt. Er war ziemlich unbestimmt: »Es hat alles keinen Sinn mehr. Ich mache Schluß. Das ist kein Leben. Regina.« Ich erkannte auf der Reproduktion eine Umrandung mit Blumenmotiven. Offenbar hatte Regina Mallberg Briefpapier benutzt.
Der Inhalt war läppisch. Es gab keine Begründung, warum sie sich ausgerechnet in der Stadthalle umbringen wollte. Trotzdem machte die Bild-Zeitung eine Riesenstory daraus und rekonstruierte theatralisch sogar den Hergang: »Ein einsames Mädchen sitzt an seinem Schreibtisch. Traurig sieht es über die bergischen Hügel hinter seinem Fenster. Dann beginnt es zu schreiben. Ihr Entschluß steht fest. Der Entschluß zum Selbstmord.« Und so ging es weiter. Der Autor stellte eine waghalsige Theorie auf, warum Regina die Stadthalle als Schauplatz gewählt hatte. Es sei ihre starke Liebe zur Musik gewesen, die dabei eine große Rolle gespielt habe: »Mozart, das war ihr Leben. Und bei den Klängen Mozarts wollte sie auch sterben.«
Mir kamen fast die Tränen. Ich beschloß, mir solide Informationen für das morgige Interview zu beschaffen, und nutzte dafür eine Einrichtung, die sich sozusagen vor der Haustür meines Büros befand: die Elberfelder Stadtbibliothek in der Kolpingstraße.
*
Ich passierte die Drehtür und nahm die Aufforderung zur Kenntnis, Taschen und Rucksäcke in den dafür vorgesehenen Schließfächern zu deponieren. Da ich nichts dergleichen bei mir trug, wandte ich mich gleich dem Treppenhaus mit den grauen Steinstufen zu. Die Musikabteilung war im obersten Stock. Auf dem Weg hinauf konnte man eine lange Reihe von Filmplakaten bewundern, die die Wände schmückten. Offenbar mußte sich so etwas Altmodisches wie eine Bibliothek langsam, aber sicher in eine Videothek verwandeln, um bei der Jugend Anklang zu finden.
Die Musikbibliothek befand sich hinter einer kleinen Glastür. Grauer Teppichboden dämpfte die Schritte. Es war still. Links neben dem Eingang saß eine Bibliothekarin an einem Schreibtisch. Vor ihr lag eine Zeitung. Weiter hinten begannen die Regale. Daneben gab es in exaktem Abstand kleine dreieckige Tischchen, an denen man Platz nehmen und lesen konnte. Nur eins davon war besetzt: Ein älterer Mann in Hut und Mantel blätterte langsam ein Buch durch.
Ich ging zu den eng aneinander stehenden Regalen. Schließlich fand ich eine Ecke mit Musiklexika. »Die Musik in Geschichte und Gegenwart« umfaßte eine ganze Batterie von Bänden. Ich nahm mir den mit dem Buchstaben »W« heraus und suchte den Artikel über Wuppertal. Der Beitrag begann in der Steinzeit; ganz am Ende kam ein Abschnitt über das zwanzigste Jahrhundert. Ich las etwas über die Konzertgesellschaft Elberfeld, über das Elberfelder Städtische Orchester, irgendwann kam der Zweite Weltkrieg, und dann: »Aufbau nach 1945«. Keine Rede von Professor Satorius.
Ich nahm den Band mit dem Buchstaben »S«. Auch hier suchte ich vergeblich. Wahrscheinlich war das Lexikon nicht aktuell genug. Ich überlegte, wie ich an Informationen über den Mann kommen könnte. Neben dem Tisch, wo die Bibliothekarin saß, stand ein Computer. Den würde ich ganz sicher nicht benutzen. Ich beschloß, die Fachkraft persönlich zu fragen.
Kaum hatte ich meine Schritte in ihre Richtung
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