Die Tote vom Johannisberg
und haben die Tür auf gebrochen.«
»Gibt es keine Namen von anderen Freunden?« fragte ich. »Von anderen Kontakten? Es muß doch irgend jemanden geben, der mit ihr zu tun hatte?«
»Sind Sie schon mal in dem Haus der Mallbergs gewesen? Ja sicher, das sind Sie. Dann ist Ihnen doch klar, was das für ein Gefängnis ist. Regina hatte nur sich selbst, ihr Zimmer und ihren Flügel, auf dem sie geübt hat. Sonst nichts. Ich weiß noch, wie sie einmal versucht hat, ein Haustier zu bekommen.«
»Eine Katze?«
»Ja genau. Woher wissen Sie das? Regina fand sie im Garten ihrer Eltern. Wahrscheinlich war sie ausgesetzt worden.«
»Und sie durfte sie nicht mit in die Wohnung nehmen?«
»Nicht nur das. Der Vater brachte die Katze einfach um. Ich glaube, er ertränkte sie in der Regentonne. Regina hat das einen richtigen Schock versetzt. Sie war danach tagelang nicht ansprechbar.«
»Warum sind diese Leute so streng mit ihrer Tochter? Sie war ihr einziges Kind, sie haben Geld.«
»Ich habe oft darüber nachgedacht. Mallberg ist sehr konservativ. Er empfand diese Schikanen nicht als etwas Schlechtes, sondern als Schutz. Er glaubte, Regina vor den Widrigkeiten der Welt abschotten zu müssen. Anstatt sie stark zu machen. Die Leute sind relativ alt. Sie haben lange auf ein Kind gewartet. Und als es dann kam, wollten sie es nicht erwachsen werden lassen. Das soll keine Verteidigung sein, aber es erklärt vielleicht manches.«
»Aber auch wiederum nicht, warum sie sich nicht gegen die Repressionen ihrer Eltern zur Wehr gesetzt hat.«
»Sie hat sich in die Musik und das Schreiben hineingeflüchtet. Regina war eine Künstlerin, verstehen Sie. Sie mußte ihrer Kreativität Raum geben. Egal wie. Die Musik haben ihre Eltern gerade noch so akzeptiert. Aber das Schreiben mußte sie heimlich tun. Darin war sie frei. Sie konnte Welten erfinden, in denen sie gern gelebt hätte. Figuren, die sie gern gewesen wäre …«
Ich dachte an all die Karrierefrauen in den Romanen, die sich dann irgendwelchen Lovern in die Arme warfen und von ihnen vor den Widrigkeiten des Lebens gerettet wurden.
»Wissen Sie, was Mallberg beruflich genau macht?« fragte ich.
»Irgendwas Kaufmännisches, glaube ich.«
Ich trank mein Wasser aus, und wie auf Kommando ertönte eine grelle Türklingel. Kurz darauf hörte man Daniel weinen.
»Das ist sicher Yvonne.« Birgit Jungholz schrabbte wieder mit dem Klappstuhl zurück, zwängte sich aus der engen Küche in die winzige Diele und betätigte den Türöffner.
Ich erhob mich und folgte ihr. Ich hatte keine Fragen mehr.
»Vielen Dank, Frau Jungholz. Sie haben mir sehr geholfen.«
»Das kam mir nicht so vor. Aber Sie müssen es wissen.«
»Noch eine Frage.«
»Was denn?«
»Wer könnte der Vater von Reginas Kind sein?«
»Keine Ahnung.«
Ein Mädchen kam die Treppe herauf. Es trug Jeans, eine dünne Jacke und einen vollgepackten lila Rucksack auf dem Rücken. Wenn man sich den Pferdeschwanz wegdachte, hatte man eine junge Kopie ihrer Mutter vor sich. Als sie oben angekommen war, schaute sie verwirrt. Sie hatte wohl nicht damit gerechnet, Besuch vorzufinden.
»Hallo«, sagte Yvonne, blickte scheu in meine Richtung und verschwand in der Wohnung.
»Leider kann ich Ihnen nicht mehr sagen«, erklärte Birgit Jungholz.
Ich bedankte mich und eilte die Holztreppe hinunter.
10. Kapitel
Es war dunkel, und irgendwo quatschte jemand unentwegt. Es dauerte seine Zeit, bis ich begriff, daß mein Radiowecker angegangen war. Eine Ewigkeit später brachte ich es fertig, mich herumzudrehen. Die nächste Hürde war: Augen auf und einen Blick auf die Digitalanzeige werfen. Sie zeigte sieben Uhr fünfundzwanzig. Ich hatte noch eine gute halbe Stunde Zeit, um zum Polizeipräsidium zu kommen.
Ich zwang mich aufzustehen, spürte, wie mein Kreislauf schlapp zu machen drohte, und wankte ins Bad. Zum Duschen blieb keine Zeit. Ich verlor zehn Minuten mit der Suche nach meinem rechten Schuh. Das Frühstück mußte warten. Um zehn vor acht verließ ich das Haus in Richtung Bushaltestelle an der Bundesallee.
Die Wuppertaler stehen zu den großen Söhnen ihrer Stadt - auch wenn es Kommunisten sind. So verbindet zum Beispiel die beiden großen Zentren Elberfeld und Barmen die Friedrich-Engels-Allee, an der sich auch das Präsidium befindet.
Es war fast Viertel nach acht geworden, als ich Krügers Büro betrat und in seine blauen Augen blicken konnte. Er grinste mich an, wobei der obere Teil seines Gesichts auf eigenartige Weise
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