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Die Tote vom Johannisberg

Die Tote vom Johannisberg

Titel: Die Tote vom Johannisberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
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gelenkt, sah sie auf und lächelte. Sie hatte lange Haare, und mir fiel auf, daß sie nicht das geringste Quentchen Make-up trug.
    »Entschuldigen Sie«, begann ich.
    »Ja bitte?«
    »Ich suche nach Informationen über Arthur Satorius, den bekannten Wuppertaler Dirigenten und Hochschulprofessor.«
    »Da haben wir eine kleine Sonderabteilung«, sagte sie. »Herr Satorius hat sie uns netterweise zur Verfügung gestellt.« Sie stand auf. »Sehen Sie - hier.«
    Ich folgte ihr wieder in Richtung der Regale. Wir passierten die Buchstaben »B«, wo ich eine lange Reihe von Büchern über »Bach« und »Beethoven« wahrnahm, wir kamen an »M« vorbei, wo es hauptsächlich um Mozart ging, und schließlich kamen wir bei »S« an. Der Mann befand sich wirklich in bester Gesellschaft.
    »Bitte sehr«, sagte die Bibliothekarin und verschwand.
    Ich sichtete die vorhandene Literatur. Besonders vielversprechend war ein Buch, das zum fünfzigsten Geburtstag des Professors erschienen war. Eine Sammlung von Aufsätzen - »von seinen Schülern«, wie es im Titel hieß. Vorangestellt war - natürlich - eine ausführliche biographische Würdigung des Gelehrten, geschmückt mit seinem fotografischen Konterfei, das ich mittlerweile gut kannte. Ich nahm den Band, setzte mich an eines der dreieckigen Tischchen und war nach kurzer Zeit über Satorius im Bilde.
    Man konnte es auf eine ganz einfache Formel bringen: Ohne diesen Herrn wäre die Wuppertaler Musikwelt wahrscheinlich in absoluter Bedeutungslosigkeit versunken. Der Mann war eine wahre Lokalgröße. Pina Bausch, das Opernhaus, die Chöre und was es sonst noch in dieser Stadt gab, waren überhaupt nichts gegen Satorius’ glanzvolle Aktivitäten. Kein Orchester in dieser Stadt, das er nicht schon einmal dirigiert, kein Chor, der nicht schon unter seiner Leitung gesungen hatte. Und seine Leistungen ragten weit über die des praktischen Musikers hinaus: Ab und zu ließ er es sich nicht nehmen, ein Gelegenheitswerk zu komponieren, das dann anläßlich eines Orchester- oder Chorjubiläums erklang.
    Und auch das reichte noch nicht: Satorius kümmerte sich intensiv um die Musikgeschichte Wuppertals. Er hatte so manche Ausgrabung gemacht, die die Bergische Metropole »im Licht der internationalen Musikgeschichte« zeigte, wie es blumig hieß.
    Irgendwann war der österreichische Operettenkomponist Franz Lehár in Wuppertal gewesen und hatte hier das getan, was Wiener Komponisten wahrscheinlich andauernd tun: Er hatte einen Walzer geschrieben. Seitdem ist die Musikgeschichte ganz normal weitergegangen, Konzerte haben stattgefunden, den Radioprogrammen ist keineswegs die Musik ausgegangen, und auch sonst hat kaum jemand bemerkt, daß dieser Wuppertaler Lehár-Walzer in Vergessenheit geraten war. Bis jemand das verlorene Stück namens »Wupper-Wellen« entdeckte. Und dieser jemand war natürlich Satorius gewesen.
    Seit der Entdeckung war er der Hans Dampf in allen Gassen der Wuppertaler Musikszene. Man pries ihn als eine Persönlichkeit, die »auf höchstem Niveau intellektuelle Bildung mit fruchtbarer künstlerischer Tätigkeit verband.«
    Na wunderbar, dachte ich. Jemand mit solch phänomenalen Fähigkeiten konnte mir sicher bei der Aufklärung dieses Falles weiterhelfen.

9. Kapitel
    Entweder hatte ich die falschen Schuhe an, oder derjenige, der dem »Tippen-Tappen-Tönchen« den Namen gegeben hatte, litt an Hörstörungen. Wenn ich die berühmte Treppe ganz in der Nähe meiner Detektei passierte, hörten sich meine Schritte ganz anderes an als diese merkwürdige Lautmalerei - angeblich die genaue Umsetzung des akustischen Eindrucks beim Betreten dieser Wuppertaler Attraktion.
    Es war bereits dunkel, als ich »Tippen-Tappen-Tönchen« hinauf stieg, um in die Nordstadt zu kommen. Genauer gesagt: in die Schusterstraße, wo Birgit Jungholz wohnte.
    Inoffiziell heißt dieses Gebiet Ölberg, weil die armen Leute, die früher hier wohnten, beim Schein der Öllampen bis in die Nacht hinein arbeiteten. Heute sind aus den armen Leuten »Bewohner eines sozialen Brennpunkts« geworden. Und mit altmodischen Funzeln müssen viele der Menschen, die hier leben, auch nicht mehr arbeiten - obwohl sie es wahrscheinlich gern täten, wenn sie nur Arbeit fänden.
    Immerhin gibt es Strom. Das beweisen schon die vielen Satellitenschüsseln an den Hauswänden.
    Die Kinder lernen in diesem Viertel gleich, wo es langgeht: »Der Hof ist kein Spielplatz«, verkünden strenge Metallschilder, und auch die Erwachsenen

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