Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tote von Buckingham Palace

Die Tote von Buckingham Palace

Titel: Die Tote von Buckingham Palace Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
Weg durch wirre Gedanken. »Eigentlich gar nichts, wenn man von den unbedeutenden Kratzern in seinem Gesicht absieht. Die große Menge dunklen Blutes aus ihrem Leib müsste aber deutliche Spuren hinterlassen haben.«
    Narraways Magen hob sich, und er spürte, wie ihm kalter Schweiß ausbrach. »Er hatte die ganze Nacht Zeit, sich zu waschen«, gab er zu bedenken.
    Pitt schüttelte den Kopf. »Die Wassermenge in der Kanne und in der Waschschüssel reichte zum Rasieren und enthielt nichts als Seifenreste. Und was ist mit seiner Kleidung?«
    »Er hat sich einfach vorher ausgezogen«, schlug Narraway vor. »Beim ersten Mal haben wir auch bei niemandem Blut gefunden. Das gehört eben zu der Art, wie dieser Täter vorgeht.«
    Pitt verzog nachdenklich das Gesicht. »Den ersten Mord hat er unter Umständen planen können, beim zweiten aber musste er improvisieren, denn er hat damit auf eine Herausforderung reagiert,
die plötzlich aufgetreten war. Er dürfte sein Opfer kaum aufgefordert haben zu warten, bis er sich ausziehen und es anschließend umbringen konnte.«
    »Wie ist er dann Ihrer Ansicht nach vorgegangen?«, wollte Narraway wissen. Enttäuschung stieg in ihm auf. Er stand Morden so gegenüber wie Pitt den Verwicklungen der Monarchie, mit denen er nach wie vor nicht recht vertraut war.
    »Ich weiß es nicht«, sagte Pitt. »Er bestreitet die Tat und gibt sich untröstlich über ihren Tod. Auf mich hat er einen geistig vollständig gesunden Eindruck gemacht.«
    Narraway war perplex. »Haben Sie etwa ein Geständnis erwartet?«
    Pitt strich sich mit schwerfälliger Bewegung die Haare aus der Stirn. »Es geht nicht nur um das, was er gesagt hat, sondern auch um die Art, wie er gesprochen hat. Ich weiß nicht, was ich denken soll.« Er legte die Stirn in Falten. »Jedenfalls stimmt hier etwas nicht. Es gibt Verschiedenes, was ich nicht verstanden habe. Ich weiß nicht einmal, wonach ich suche. Ich habe mir den Kopf in alle Richtungen zerbrochen, sehe aber nichts außer der Lücke, der Stelle, an der etwas sein müsste, damit alles zueinanderpasst.«
    »Dann überlegen Sie weiter, zum Henker, bevor es zu spät ist!«, stieß Narraway verzweifelt hervor. »Wir müssen unbedingt jemanden festnehmen. Diesmal war das Opfer keine Hure, sondern Dunkelds Tochter. Einen Fehlschlag können wir uns nicht leisten. Sofern wir eingestehen müssten, dass wir versagt haben, wäre der Staatsschutz am Ende. Es wird nie wieder einen Fall geben, der mehr Aufsehen erregen könnte als dieser, wenn er an die Öffentlichkeit käme. Und das würde er unweigerlich, wenn wir versagen.«
    »Ich bin nicht bereit, den falschen Mann zu einem Leben in der Hölle des Irrenhauses zu verurteilen«, gab Pitt halsstarrig zurück. »Manchmal höre ich in meinen Albträumen noch das markerschütternde Schreien der Insassen von Bedlam. Sie waren doch selbst schon einmal dort, damals, als wir den jungen Garrick da herausgeholt haben. Wer als geistig gesunder Mensch da
hinkommt, ist spätestens nach einem oder zwei Jahren rettungslos dem Wahnsinn verfallen. Da wäre es vermutlich menschlicher und für ihn selbst besser, wenn man ihn gleich an den Galgen brächte.«
    Narraway beugte sich vor. »Einer dieser drei Männer hat im Verlauf von vier Tagen zwei Frauen getötet. Wir dürfen auf keinen Fall abwarten, bis noch mehr umgebracht werden. Das ist wichtiger als die Frage, ob die Bahnlinie in Afrika gebaut wird oder nicht. Bis zur Rückkehr der Königin dauert es keine Woche mehr.«
    Pitt sagte nichts.
    Während Narraway wartete, kehrten seine Gedanken zu dem zurück, was Forbes über Julius Sorokine gesagt hatte: ein zivilisierter, kluger Mensch, der zur Trägheit neigte – und es für selbstverständlich hielt, sich gewisse Vorrechte herauszunehmen. Was mochte dafür gesorgt haben, dass er sich in ein Wesen verwandelte, das zwei Frauen die Kehle durchgeschnitten und den Unterleib aufgeschlitzt hatte? »Irgendetwas muss diese Taten ausgelöst haben«, sagte er. »Suchen Sie danach.«
    Pitt hob den Blick. »Das muss lange vorher angefangen haben. Niemand ist heute geistig gesund und morgen ein blutrünstiger wahnsinniger Mörder. Damit eine solche Veränderung eintritt, muss etwas vorfallen, was den Geist des Täters vollständig zerstört. Aber das dürfte hier kaum der Fall sein. Die Männer haben beisammengesessen, sich über das Bahnprojekt unterhalten und für jeden von ihnen eine Zukunft voller Wohlstand und Ruhm geplant. Die Frauen haben den Männern

Weitere Kostenlose Bücher