Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tote von Buckingham Palace

Die Tote von Buckingham Palace

Titel: Die Tote von Buckingham Palace Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
verstanden habe, wird Dunkeld Ihrer Ansicht nach das Projekt so oder so durchpeitschen?«
    »Das wird alles andere als einfach sein, und ich denke nicht im Traum daran, ihn dabei zu unterstützen. Aber, ja, er wird es tun.« Wieder lag der Ausdruck tiefer Empfindungen auf Forbes’ Gesicht, ohne dass Narraway hätte erkennen können, in welche Richtung sie gingen.
    Beim Essen sprachen sie über andere Dinge. Forbes war ein aufmerksamer und fesselnder Gastgeber, und Narraway kehrte erst kurz vor Mitternacht nach Hause zurück.
     
    Am nächsten Morgen suchte er Pitt im Palast auf. Sie setzten sich einander gegenüber an seinen Arbeitstisch, auf dem ein Teetablett stand. Pitt sah erschöpft aus, fast gehetzt, wie ein Tier, das in der Falle sitzt. Narraway spürte in Pitt eine Enttäuschung, die er an ihm nicht kannte. Mit einem Mal ging ihm auf, wie sehr Pitt die Aufgabe bedrücken musste, die er dort zu erledigen hatte. Gewalttätigkeit und Erniedrigung hatte er viele Male miterlebt, doch was hier geschehen war, hatte ihn in den tiefsten Tiefen seines Wesens aufgewühlt. Nicht dass die Morde brutaler gewesen wären als andere – was ihm zu schaffen machte, war, dass sie an einem Ort geschehen waren, den er bis dahin für unverletzlich gehalten hatte.
    Vielleicht spielte auch mit hinein, dass es sich bei den Opfern um Frauen handelte und die zweite sich nicht sehr von Charlotte unterschied, jedenfalls nicht in Bezug auf Herkunft und Klassenzugehörigkeit.
Sie verfügte über die gleiche Lebendigkeit wie Minnie, war ebenso mutig und flink mit der Zunge. Der Unterschied bestand darin, dass sie sanftmütiger und vielleicht auch unendlich glücklicher war.
    Diese Morde zerstörten in Pitt Ideale und bedrohten seine Haltung der Monarchie gegenüber in gefährlicher Weise.
    Um diese Ideale beneidete ihn Narraway nicht. Er machte sich schon längst keine Illusionen mehr über die Natur der Menschen. Die Nähe zu ihnen hatte dafür gesorgt, dass er sie sah, wie sie waren. Es fiel ihm schwer zu glauben, dass sich Pitt sein schlichtes Kindergemüt so lange bewahrt hatte. Offensichtlich war er einfach nicht bereit gewesen zu sehen, was er nicht sehen wollte. Dieser Haltung stand Narraway zugleich unduldsam und voll Mitgefühl gegenüber.
    Dann dachte er an Charlottes Gesicht, ihre Augen, ihren Mund, die Biegung ihres Halses, und ein Gefühl der Einsamkeit überwältigte ihn. In diesem Augenblick hätte er all sein Wissen und Verstehen gegen Pitts Arglosigkeit eingetauscht, die sicherlich der Grund dafür war, dass Charlotte ihn liebte. Aber war es überhaupt Arglosigkeit? War es nicht eher so, dass er die Hoffnung nie aufgab?
    Wenn aber die Morde hier im Palast diese Haltung in Pitt zerstörten, was würde er dann verlieren? Würde Narraway damit einen Mann zugrunde richten, den er insgeheim bewunderte? Diese Frage stieg überraschend in ihm auf.
    Pitt trank seinen Tee aus, stellte die Tasse hin und wartete darauf, dass Narraway das Wort an ihn richtete. Dunkle Ringe lagen unter seinen Augen, die Wangen waren eingesunken, und an seinem Kinn sah man, dass er sich beim Rasieren geschnitten hatte. Wurde ihm bei Gewaltverbrechen nach wie vor übel, und verbarg er das nur geschickt? Empfand er das gleiche Schuldbewusstsein wie Narraway, weil es ihm nicht gelungen war, Minnie Sorokines Tod zu verhindern?
    »Ist Sorokine nach wie vor in seinem Zimmer eingeschlossen?«, fragte Narraway.

    »Ja. Wir hatten keine andere Möglichkeit«, sagte Pitt mit unglücklicher Stimme.
    »Sind Sie sicher, dass er der Täter ist?« Eigentlich hatte er das nicht fragen wollen, aber der Fall musste abgeschlossen werden, und der Kummer auf Pitts Zügen ließ ihm keine Wahl. »War sie dahintergekommen, dass er die Prostituierte auf dem Gewissen hatte? Daraufhin hätte er es sich nicht leisten können, sie weiter am Leben zu lassen, weil sie ihn sonst früher oder später ans Messer geliefert hätte.«
    Bedächtig sagte Pitt: »So sieht es aus.«
    »Warum sind Sie Ihrer Sache denn nicht sicher?« Narraway hob die Stimme, obwohl er sich bemüht hatte, die Frage neutral zu stellen. Er war an Anarchie, Verrat und ein beträchtliches Maß an Gewalttätigkeit gewöhnt; doch mit sexueller Abartigkeit hatte er noch nie zu tun gehabt. Ihr haftete etwas sonderbar Abstoßendes an, etwa wie der üble Geruch, den bestimmte Krankheiten auslösen.
    »Wir haben an ihm nicht die kleinste Spur von Blut entdeckt«, sagte Pitt zurückhaltend, als bahne er sich vorsichtig den

Weitere Kostenlose Bücher