Die Tote von Buckingham Palace
Früchtebrot – oder has’ du kein’ Hunger?«
Hastig griff er danach, bevor sie den Teller wegziehen konnte.
»Nimm ruhig ’s letzte Stück«, sagte sie. »Mach schon! Du bis’ ja auch nur so ’ne halbe Portion.«
Er grinste sie breit an, wobei seine Zahnlücken sichtbar wurden.
»Wo hast du den Fuhrmann gesehen?«, fragte Gracie so beiläufig sie konnte. Offensichtlich gab es hier etwas zu erfahren.
»Reden Se ihm nich’ auch noch ein, dass er recht hat«, fuhr Mrs Oliphant Gracie an. Diese zuckte die Schultern. »’tschuldigung. Wahrscheinlich gibt’s den ja gar nich.«
»Und ob’s den gibt!«, beharrte Rob. »Bisschen größer wie ich. Unordentliche weiße Haare un’ Dreck im Gesicht. Hier unten hat er gewartet, dass se o’m die Kiste auspacken, weil er se gleich wieder mitnehm’ wollte. Er is’ am Zimmer von Mr Tyndale vorbei hier in die Küche gekomm’, sicher, weil er ’ne Tasse Tee trinken wollte, und is’ dann durch ’n Seitenausgang in ’n Hof. Da stand wohl sein Fuhrwerk. Aber ich schwör, dass er an der Geschirrkammer vorbeigekommen is’!« Er sah Gracie an, als erwarte er von ihr Unterstützung.
»Und woher wills’ du das alles so genau wissen?«, erkundigte
sich Mrs Oliphant. »Was hattest du mitt’n in der Nacht hier zu suchen? Bestimmt hast du wieder was zu essen stibitzt.«
»Ich wollte ’n Schluck Wasser trinken«, sagte er, ganz gekränkte Rechtschaffenheit.
»Hier unten?«, fragte Gracie zweifelnd.
»Er schläft in der Spülküche«, erklärte Mrs Oliphant.
Rob nickte mit breitem Lächeln. »Da isses schön warm.«
Gracie verkniff es sich, darauf hinzuweisen, dass es auch dort einen Wasserhahn gab – allerdings keinen Kuchen.
»So was Dämliches«, sagte Mrs Oliphant und nahm einen Schluck Tee. »’n Tafelmesser klauen. Das taugt ja zu nix. Warum nich’ ’n richtig scharfes Küchenmesser, wenn er was zum Schneiden will?«
»Das sin’ extra Fleischmesser«, belehrte Cuttredge sie. »So scharf wie die sin, könnt’ man sich glatt damit rasier’n. Glaub’n Se mir!«
Es fiel Gracie schwer, den Anschein zu erwecken, als beende sie ihren Imbiss in Ruhe. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie dankte Mrs Oliphant und machte sich so eilig davon, dass sie auf der Treppe Pitt beinahe umgerannt hätte.
»Was gibt es?«, fragte er mit einer gewissen Eindringlichkeit. »Mr Tyndale hat gesagt, dass du mich sprechen möchtest. Es soll etwas mit Laken zu tun haben.«
»Ich hab se in der Waschküche gefunden«, flüsterte sie atemlos. »Und im Kleiefass versteckt. Die gehören der Königin; da is’ ’n V, ’n R und ’ne Krone draufgestickt, und se sind ganz voll Blut.«
»Ja, die waren dann wohl in der Wäschekammer«, sagte er unbewegt. »Man hat alle Laken von dort in die Waschküche gebracht, um festzustellen, welche noch brauchbar sind.«
»Aber das V und R heißt doch, dass die ihr gehör’n.« Wieso war er so begriffsstutzig? »Und die war’n nich’ ordentlich gefaltet wie die andern, sondern ganz zerknittert. Da muss jemand drin geschlafen ha’m.«
Mit ernstem Gesichtsausdruck fragte Pitt: »Bist du deiner Sache ganz sicher, Gracie?«
»Na klar doch! Ich versteh zwar nich’, was das zu bedeuten hat, aber ich weiß, was ich geseh’n hab«, sagte sie mit Nachdruck. »Das is’ aber noch nich’ alles. ’n Tafelmesser fehlt, ’n ganz scharfes, zum Fleischschneiden. Rob, der Stiefelputzer, hat gesagt, er hat ’nen alten Fuhrmann geseh’n, der kurz nach Mitternacht ’ne große Kiste gebracht und wieder mitgenommen hat.«
»Wann?«, fragte Pitt. »In der Mordnacht? Wo war das?«
»Unten, an der Geschirrkammer vorbei und in ’n Hof raus«, gab sie zurück. »Er is’ mit ’ner großen Holzkiste gekommen.«
»Wie groß war die?«, fragte Pitt sofort.
»Weiß ich nich. Ich kann mich erkundigen.«
»Lieber nicht«, sagte er rasch und fasste nach ihrem Arm. »Es ist nicht wichtig. Versuch festzustellen, ob ihn außer dem Stiefelputzer noch jemand gesehen hat und wie lange er hier war. Möglicherweise hat der Tod der Frau doch nichts mit den Gästen hier zu tun.« Er lächelte mit einem Mal, und in seine Augen trat ein hoffnungsvoller Blick. Gracie erwiderte sein Lächeln, zufrieden, dass sie ihm tatsächlich hatte helfen können. Vielleicht hatte sie damit sogar etwas für die Königin getan. Mit einem Mal schienen ihr all das Putzen und Sichunterordnen der Mühe wert.
Als sie Schritte hörte, eilte sie leichten Fußes nach oben, während sich
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