Die Tote von Buckingham Palace
Kap-Kairo-Bahn zuzuwenden?« Sein Ton war unüberhörbar sarkastisch.
»Es käme mir durchaus gelegen, wenn eine der anderen Frauen die Tat begangen hätte«, räumte Pitt ein. »Tun wir also einmal so, als wäre es Bella gewesen. Sie hat sich also aus Mr Dunkelds Bett durch den Gang geschlichen, ohne jemanden zu wecken, und ist dort zufällig auf Sadie gestoßen, die das Bett des Prinzen splitternackt verlassen hat. Die beiden haben die Wäschekammer entdeckt und sind dort hineingegangen, vielleicht, um ungestört zu sein. Dann haben sie sich entsetzlich gestritten, wovon glücklicherweise niemand etwas gemerkt hat, und Bella, die in weiser Voraussicht eins der Fleischmesser aus der Geschirrkammer an sich gebracht hatte, hat Sadie die Kehle durchgeschnitten und den Unterleib aufgeschlitzt. Zum Glück ist dabei kein Tropfen Blut auf ihr Kleid, ihre Hände, Arme oder ihr Gesicht gelangt. Dann hat sie sich geräuschlos aus dem Staub gemacht, hat zufällig Molly getroffen, gemeinsam mit ihr den Palast verlassen und ist nach Hause gegangen. Etwa in der Art?«
Marquands Gesicht war puterrot, und seine Augen sprühten vor Empörung. Zweimal setzte er zum Sprechen an, sagte aber nichts, weil er merkte, dass seine Einwände widersinnig sein würden.
»Vielleicht sind Sie bereit, mir etwas mehr über die Stimmung zu sagen, die an jenem Abend herrschte, über die Atmosphäre in der Runde?«, sagte Pitt. Es klang herablassend. »Gab es zwischen den Herren oder zwischen ihnen und einer der Frauen irgendeine Missstimmung?«
Marquand wollte das schon bestreiten, sagte dann aber in anklagendem Ton: »Sie bringen mich hier in eine verzwickte Lage. Der Gedanke, dass der Prinz von Wales einer solchen Tat fähig sein könnte, ist einfach grotesk. Dunkeld war vermutlich mit der anderen Frau, dieser Bella, zusammen, außer während der Zeit, in der er seine verdammte Bücherkiste ausgepackt hat, und es sieht ganz so aus, als ob er das beweisen könnte.« Der Klang seiner Stimme änderte sich ganz leicht, sie wirkte jetzt bemüht. »Julius hat sich früher als alle anderen zurückgezogen, und zwar allein. Er hat keine Gründe dafür angegeben. Das hat Seiner
Königlichen Hoheit zwar nicht gefallen, aber er hat es ihm nicht wirklich übel genommen.«
»Mrs Sorokine sieht sehr gut aus«, sagte Pitt, so beiläufig er konnte. » Wahrscheinlich hat er ihre Gesellschaft der einer Dirne vorgezogen.«
Erneut stieg Marquand eine tiefe Röte ins Gesicht. »Ihre Äußerungen sind ziemlich impertinent, Sir. Zu Ihrer Entschuldigung kann ich lediglich annehmen, dass Sie es nicht besser wissen.«
»Welche Formulierung wäre Ihnen lieber, Sir?«, fragte Pitt.
»Als Julius zu Bett ging, war er ziemlich aufgebracht«, sagte Marquand, und einen Augenblick lang flammte Hass in seinen Augen auf. »Seine Frau hat ihn erst am nächsten Tag beim Mittagessen wiedergesehen.«
Die Stärke der Gefühlswallung des Mannes verblüffte Pitt, und es war ihm unangenehm, ihr Zeuge gewesen zu sein.
»Hat er oder sie Ihnen das gesagt?«, fragte er.
»Was?« Die Farbe wich nicht aus Marquands Gesicht. »Ach so, sie. Und fragen Sie mich gar nicht erst – ich kann nichts weiter zu dem Thema beitragen. Wie Sie wissen, ist Julius mein Bruder. Ich sage Ihnen lediglich, was mir mein Ehrgefühl gestattet. Ich bin auf keinen Fall bereit, die Unwahrheit zu sagen, nicht einmal in seinem Interesse.«
»Das verstehe ich. Und Mrs Sorokine ist natürlich Ihre Schwägerin«, schloss Pitt. In Wahrheit verstand er nicht. Galt Marquands Zorn dem Bruder, weil ihn dieser in eine Situation gebracht hatte, in der er sich genötigt sah, zu lügen oder ihm in den Rücken zu fallen? Oder richtete er sich gegen die Umstände, gegen den Prinzen und dessen Erwartungen, wenn nicht gar gegen Dunkeld, weil dieser die ganze verfahrene Situation heraufbeschworen hatte? Oder grollte er seiner Frau, der gegenüber er ein schlechtes Gewissen hatte, weil er an der Gesellschaft nicht nur teilgenommen, sondern sie möglicherweise sogar genossen hatte?
Nachdem sich Pitt noch nach einigen weiteren Einzelheiten erkundigt hatte, bedeutete er ihm, dass er gehen könne. Als
Nächsten ließ er Julius Sorokine kommen, auch wenn dieser mit Sicherheit nicht so viel wissen konnte wie die anderen, weil er die Gesellschaft schon früh verlassen hatte.
Obwohl Sorokine lässig hereingeschlendert kam, war er offensichtlich unruhig. Er war größer als sein Bruder und bewegte sich auf eine elegante Weise, die sich
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