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Die Tote von Buckingham Palace

Die Tote von Buckingham Palace

Titel: Die Tote von Buckingham Palace Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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brandgefährlich. Ich kann mir nicht vorstellen, warum sie ausgerechnet einen Langweiler wie Julius Sorokine geheiratet hat. Ein begabter Diplomat, der bei Bedarf sehr charmant sein kann. Doch der Mann ist träge. Er könnte unendlich mehr erreichen, als er bisher zustande gebracht hat, und genau das ist seine Tragödie.«
    »Was ist mit seinem Halbbruder Simnel Marquand?«
    »Ach, der. Seine Fähigkeiten als Finanzier sind überragend, und ich kenne keinen besseren Geldbeschaffer als ihn. Meiner Einschätzung nach befindet er sich auf dem Höhepunkt seines Leistungsvermögens.«
    »Ist das alles?«, fragte Narraway, der daran denken musste, dass Lady Vespasia über Marquand gesagt hatte, er beneide seinen Bruder. Doch wohl kaum um eine Fähigkeit, die einzusetzen dieser zu träge war?

    »Schon möglich. Aber mehr erwartet bei diesem Projekt niemand von ihm.« Auf Forbes’ Zügen lag nach wie vor eine Spur von Belustigung, die aber mit dem Ausdruck anderer Empfindungen vermischt war: Zorn, Bedauern und dem Hinweis auf eine unvorstellbar große Kraft.
    »Und Hamilton Quase?« Unwillkürlich senkte Narraway die Stimme. Ihm war bekannt, wie die beiden Männer zueinander standen.
    »Mein Schwiegersohn?« Forbes’ dunkle Brauen hoben sich. »Da können Sie von mir wohl kaum ein unvoreingenommenes Urteil erwarten.«
    »Ich habe zum Vergleich die Meinungen anderer.«
    Diesmal wog Forbes seine Worte noch sorgfältiger ab. »Er ist ein glänzender Ingenieur, von hohen technischen Gaben und voll Einfallsreichtum. Wer auch immer die Absicht hat, eine Bahnlinie zu bauen, die einen ganzen Kontinent erschließt, könnte für die Aufgabe keinen Besseren finden als ihn.«
    »Sie sprechen von seinen beruflichen Fähigkeiten. Was ist mit seinem Charakter?«
    »Man kann sich voll und ganz auf ihn verlassen«, sagte Forbes sogleich. »Außerdem ist er auf gerechten Ausgleich bedacht. Jedenfalls nehme ich das an. Er zahlt für alles, was er haben will. Er lässt sich nur schwer einschätzen, hat einen äußerst ausgefallenen Geschmack und vielleicht auch ausgefallene Träume. Er trinkt zu viel. Ich begehe keinen Vertrauensbruch, wenn ich das sage. Sie können es von jedem anderen hören.«
    Narraway musste daran denken, wie Lady Vespasia über den Mut und die Diskretion gesprochen hatte, die Quase bei Eden Forbes’ Tod an den Tag gelegt hatte, weil er Liliane liebte. Sie aber hatte eigentlich Julius Sorokine gewollt. Es klang ganz so, als habe sie dadurch, dass ihr Vater mit Quase einig geworden war, einen besseren Mann bekommen. Narraway hoffte, dass sie inzwischen selbst klug genug war, das zu schätzen.
    »Danke«, sagte er aufrichtig.
    »Nützt es Ihnen denn etwas?«, wollte Forbes wissen.

    »Das weiß ich noch nicht«, gestand Narraway. »Glauben Sie, dass diese Männer es schaffen würden, die Bahnlinie zu bauen, wenn sie die richtige Unterstützung bekommen?«
    Forbes zögerte. Mit einem Mal trat der Ausdruck eines starken Gefühls in seine Augen, doch legte sich gleich wieder die Maske der betonten Neutralität auf sein Gesicht. »Die Königin wird das Projekt befürworten«, sagte er leise. »Kurzfristig gesehen ist damit ein hohes Risiko verbunden, aber mittelfristig – sagen wir in den nächsten vier oder fünf Jahrzehnten – wird es sich positiv auswirken, möglicherweise für ganze Völker.«
    Narraway sah ihn aufmerksam an, im Versuch, die feinsten Regungen auf seinem Gesicht zu deuten. »Und langfristig?«, fragte er. »Nachdem das halbe Jahrhundert um ist, von dem Sie gesprochen haben?«
    »Sie meinen die Zukunft des afrikanischen Kontinents und seiner Völker ganz allgemein?« Jetzt fiel die Neutralität von Forbes’ Gesicht ab, und seine Gefühle traten deutlich zutage. »Die liegt ausschließlich in unserer Hand. Es wird gute Menschen geben, deren Bestreben es ist, die Völker Afrikas zu lehren und den Kontinent – so, wie sie das sehen – aus der Finsternis herauszuführen. Gott allein weiß, ob das die richtige Sichtweise ist.« Sein Mund verzog sich ein wenig. »Diesen guten Menschen dicht auf den Fersen werden die Händler und all diejenigen folgen, die eine günstige Gelegenheit wittern, etwas für sich herauszuschlagen: zuerst die Forschungsreisenden, danach diejenigen, die Bodenschätze ausbeuten wollen, und dann die Bauern und Siedler. Dutzende, Hunderte weißer Männer werden den Versuch unternehmen, aus Afrika so eine Art englischen Vorort zu machen, nur sonniger. Manche werden Lehrer und Ärzte

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