Die Tote von Buckingham Palace
sein, die meisten aber nicht.«
Narraway wartete. Ihm war klar, dass Forbes weitersprechen würde.
»Es wird Gute und Böse geben«, sagte dieser und kniff die Lippen fest zusammen, »wohlgemerkt nach unseren Maßstäben, nicht nach denen der Menschen Afrikas.«
Diese Vorstellung beunruhigte Narraway.
»Ist das nicht unvermeidbar? Schließlich können wir nicht so tun, als sei das ein unentdeckter Kontinent«, gab er zu bedenken.
»Da haben Sie vermutlich recht«, sagte Forbes ausdruckslos. »Und wenn er schon ausgebeutet werden soll, warum dann nicht durch England? Wir verstehen etwas davon, wir haben weiß Gott genug Erfahrung damit. Aber nicht aus diesem Grund habe ich mich aus Afrika zurückgezogen. Es ist nicht einfach, fern von daheim in einem belastenden Klima zu leben. Mittlerweile beschäftige ich mich lieber mit geistigen als mit wirklichen Abenteuern. Was letztere betrifft, gibt es sicherlich keinen Besseren als Cahoon Dunkeld. Es soll mir recht sein, wenn er die Sache in Angriff nimmt.«
»Und Sorokine, Quase und Marquand?«
»Er dürfte kaum Bessere finden als sie.«
»Warum? Weil sie sich am ehesten für diese Aufgabe eignen, oder weil Sorokine sein Schwiegersohn, Marquand dessen Halbbruder und Quase Ihr Schwiegersohn ist?«
Forbes bedachte ihn mit einem entwaffnenden Lächeln. »Sicher spielt all das mit da hinein. Man vertraut am ehesten Menschen, deren Schwächen man kennt oder von denen man zumindest eine Vorstellung hat. Fürchten Sie etwa, dass dem Projekt schon in diesem frühen Stadium Gefahr durch Sabotage droht?«
»Falls ja, wen würden Sie verdächtigen?«, fragte Narraway.
»Hmm. Ist das der eigentliche Kernpunkt Ihrer Nachforschungen?« Forbes lehnte sich ein wenig weiter in seinem Sessel zurück.
»Und wenn es so wäre?«
»Sollte es noch eine Gruppe von Männern mit den nötigen Fähigkeiten geben, weiß ich nichts davon. Wenn Sie wirklich Anlass zu Befürchtungen haben, wäre es ratsam, sich mit einigen der anderen Länder zu beschäftigen, die in Afrika stark vertreten sind. Den Anfang könnten Sie mit Belgien machen. Der Belgische Kongo ist ungeheuer groß und reich an Bodenschätzen. König Leopolds Ehrgeiz kennt keine Grenzen.« Er legte seine Fingerspitzen gegeneinander. »Der nächste Kandidat ist das Deutsche Reich. Eine Bahnlinie wie die geplante würde auf jeden Fall das
Gebiet eines der beiden Länder durchschneiden oder zwischen ihnen hindurchgehen müssen. Aber vermutlich können Sie eine Landkarte ebenso gut lesen wie ich.«
»Ich habe mir die Trassierung schon angesehen.«
»In dieser Hinsicht könnten sich Sorokines diplomatische Fähigkeiten als nützlich erweisen. Er kann eine Unzahl von Beziehungen spielen lassen und ist weit intelligenter, als sein zwangloses Auftreten vermuten lässt.«
»Danke. Sie waren äußerst zuvorkommend.« Narraway erhob sich.
»Eine zweideutige Aussage, die gut zu der Situation passt.« Auch Forbes erhob sich. »Sofern ich noch etwas für Sie tun kann, melden Sie sich gern wieder.«
Narraway suchte Pitt in dessen Arbeitsraum im Palast auf, wo dieser gerade sein Abendessen zu sich nahm. Die Fenster standen weit offen, sodass die laue Abendluft hereindrang. Sofort fiel Narraway auf, wie müde Pitt aussah. Er schien seine ganze geistige Energie verbraucht zu haben.
»Haben Sie etwas erreicht?«, fragte Pitt mit vollem Mund, bevor Narraway die Tür schließen konnte.
Mit den Worten »Auf jeden Fall habe ich ziemlich interessante Dinge erfahren« setzte er sich ihm gegenüber. Die mit reichlich Roastbeef belegten Brote sahen verlockend aus, und ihm fiel ein, dass er den ganzen Tag noch nichts gegessen hatte. Doch das war Pitts Mahlzeit, nicht seine, und ein höherer Dienstgrad war keine Entschuldigung für schlechtes Benehmen. »Allerdings weiß ich nicht, ob wir viel damit anfangen können. Wie sieht es bei Ihnen aus?«
»Gracie hat wohl als Einzige etwas herausgebracht«, sagte Pitt mit kläglicher Miene. »Aber auch da ist zweifelhaft, ob uns das weiterbringt. Haben Sie meine Mitteilung in Bezug auf die Ermordete, Sadie, bekommen?«
»Ja. Es ist aber noch zu früh, als dass wir mit Ergebnissen rechnen dürften.«
»Ist mir klar. Ich bin auch nicht sicher, ob es überhaupt noch eine große Rolle spielt. Wahrscheinlich nicht.«
Narraway sah sich suchend nach dem Glockenzug um. »Glauben Sie, man würde mir auch etwas bringen?«, fragte er mit einem Seitenblick auf die Brote.
»Nehmen Sie von meinen«, sagte Pitt.
Weitere Kostenlose Bücher