Die Tote von Charlottenburg: Kriminalroman (German Edition)
geholt.«
Sie berichtete, dass sich der Zustand ihrer Schwester bis zum nächsten Morgen so verschlimmert hatte, dass sie gegen Mittag den Hausarzt Dr. Behnke verständigt hatte. »Er stellte eine Lungenentzündung fest. Auf seine Diagnose habe ich mich verlassen.«
»Sie hatten auch keinen Grund, sie anzuzweifeln«, versicherte Leo.
Rosa Lehnhardt wirkte erleichtert. »Er wollte sie sofort ins Krankenhaus schicken. Meine Schwester hat sich dagegen gewehrt, aber ich habe ihr gut zugeredet und angefangen, einen Koffer für sie zu packen. Dann stand Adrian plötzlich vor der Tür.«
Sie schwieg und sah ihren Sohn hilfesuchend an.
»Ich war einige Tage auf einer Konzertreise in Leipzig und bin am Montag nach Hause gekommen. Als mir unserHausmädchen mitteilte, dass Tante Jette sehr krank sei, bin ich sofort zu ihr gefahren.« Er schaute zu Boden. »Meine Mutter wollte gerade einen Krankenwagen rufen. Ich bin zu meiner Tante ins Schlafzimmer gegangen.« Ihm versagte die Stimme. »Ihr Zustand war so schlecht, dass … Sie bekam kaum Luft. Ich habe das Ohr an ihre Brust gelegt, es war ein ganz seltsames Geräusch. Ein Rasseln, nein, ein Brodeln …«
»Sie hatte Flüssigkeit in der Lunge«, erklärte Leo. »Das hat die Untersuchung ergeben.«
»Wir haben auf den Krankenwagen gewartet«, fuhr Frau Lehnhardt fort. »Auf einmal wurde meine Schwester ganz unruhig, wollte sich aufsetzen, rang nach Luft – ich habe versucht, sie zu stützen. Der Krankenwagen kam zu spät. Sie muss erstickt sein.« Dann brach sie in Tränen aus. »Es ist meine Schuld, ich hätte früher …«
Adrian eilte an ihre Seite. »Meine Herren, wir müssen die Befragung verschieben. Wie Sie sehen, ist meine Mutter nicht in der Lage, weitere Fragen zu beantworten.«
Leo überlegte kurz. »Dann möchte ich gern mit Ihnen sprechen. Frau Lehnhardt kann sich zurückziehen.«
Sonnenschein warf ihm einen forschenden Blick zu.
Adrian Lehnhardt wollte etwas erwidern, schluckte es aber hinunter und geleitete seine Mutter aus dem Zimmer. Dann kam er zurück und atmete tief durch. »Herr Kommissar, wenn Sie das jetzt bitte rasch zu Ende bringen könnten – ich muss mich um meine Mutter kümmern.«
»Ich wüsste gern mehr über Ihre Familie, wie eng die Beziehung zwischen den Schwestern war, ob es regelmäßige Besuche gab. Die beiden haben ja sehr unterschiedliche Lebenswege gewählt.«
Lehnhardt sah ihn verwundert an. »Ich weiß nicht, was das mit Ihren Ermittlungen zu tun hat, aber das Verhältnis zwischen meiner Mutter und ihrer Schwester war gut. Nicht sehreng, aber sie pflegten regelmäßigen Kontakt. Natürlich besaß jede von ihnen einen eigenen Freundeskreis, was durch die jeweiligen, wie soll ich sagen, Lebenssphären bedingt war.«
»Gab es auch Konflikte?«
»Nicht dass ich wüsste. Sie waren sehr unterschiedliche Charaktere, aber von Auseinandersetzungen habe ich nie etwas mitbekommen.«
Leo schaute den jungen Mann prüfend an: »Wie eng war Ihr Verhältnis zu Frau Dr. Strauss? Sie wirkten tief erschüttert, als Sie mich im Präsidium aufgesucht haben.«
Adrian Lehnhardts Antwort war ebenso schlicht wie berührend. »Neben meiner Mutter war Tante Jette der wichtigste Mensch in meinem Leben.«
»Ich mag keine Krankenhäuser«, sagte Robert Walther, »dieser Geruch nach Kohl und Karbolsäure, einfach widerlich.«
»Wenn du in mein Alter kommst, wirst du für Krankenhäuser dankbar sein«, bemerkte Kriminalassistent Otto Berns trocken. Er war neunundfünfzig, sein um weniges älterer Kollege Stahnke war bereits vor zwei Monaten in Pension gegangen. Obwohl Berns nie Karriere gemacht hatte, erledigte er seine Arbeit gründlich, pflichtbewusst und ohne Groll.
»Mit wem sprechen wir zuerst?«
Walther warf einen Blick in sein Notizbuch. »Dr. Rudolf Stratow, er war ihr unmittelbarer Vorgesetzter.«
Sie erkundigten sich am Empfang nach der Abteilung für Frauenheilkunde und Geburtshilfe. »Die Treppe hoch und dann links.«
Für ein Krankenhaus war das Gebäude recht hell und freundlich, es hingen Bilder an den Wänden, man bemühte sich um eine angenehme Atmosphäre. Im ersten Stock gelangten sie zu einer Glastür, auf der in Goldbuchstaben der Name der Abteilung stand. Irgendwo im Hintergrund erklang Säuglingsgeschrei. Sie traten in den Flur und fragteneine vorübereilende Krankenschwester nach Dr. Stratows Dienstzimmer. »Dritte Tür links. Er muss aber gleich zur Visite.«
»Das werden wir sehen«,
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