Die Tote von Charlottenburg: Kriminalroman (German Edition)
Augenbraue hoch. »Sie denken an ihre … Frauenberatung?«
Berns nickte. »Angeblich hat sie sich damit nicht nur Freunde gemacht.«
»Selbstverständlich nicht. Wer die Abschaffung des Paragraphen 218 fordert, nimmt Schwierigkeiten in Kauf. Aber solange es ihre Arbeit nicht beeinträchtigte – und das war nicht der Fall –, habe ich mich aus dieser Sache herausgehalten.«
Schwierigkeiten war wohl gelinde ausgedrückt, dachte Walther. Gut möglich, dass diese »Schwierigkeiten« ihren Tod bedeutet hatten.
Alice Vollnhals eilte die Straße entlang, den Mantelkragen gegen die feuchte Kälte hochgeklappt. Ihre Strümpfe waren nass, weil sie beim Aussteigen aus der Straßenbahn in eine Pfütze getreten war, doch das konnte sie nicht aufhalten. Sie drängte sich durch die Passanten auf der belebten Straße, stolperte beinahe über den Fuß eines blinden Bettlers, auf dessen Schild »Kriegsversehrt und ohne Obdach« zu lesen war, und stürzte in den Hausflur. Sie lief die Treppen hinauf, wobei sie immer zwei Stufen auf einmal nahm.
»Ich weiß, wir treffen uns nie am Sonnabend«, erklärte sie atemlos, als Grete ihr öffnete. Alice stürmte an ihr vorbei ins Wohnzimmer. Die Freundin blickte ihr verdutzt nach und schloss die Tür.
Im bescheiden eingerichteten Wohnraum warf Alice den Mantel über eine Stuhllehne, ließ sich in einen Sessel fallen und klappte ihre Zigarettendose auf. Sie nahm erst einen tiefen Zug, bevor sie Grete anschaute. »Jette ist tot.«
Grete wich einen Schritt zurück und tastete nach der Tischkante. »Was redest du da? Wir haben uns doch am 15. noch gesehen, da war sie bei bester Gesundheit. Woher weißt du das überhaupt?«
Alice atmete tief durch. »Du erinnerst dich sicher an Magda Schott? Wir haben sie mal eingeladen, aber sie hat es nie geschafft zu kommen. Sie hat eine Praxis in Moabit, die sie ganz allein führt.«
Grete nickte.
»Nun, Magda hat mich angerufen und es mir erzählt.«
»Und was hatte sie mit Jette zu tun?«
»Magda hat eine Freundin, die Jette im Urlaub auf Hiddensee kennengelernt hat, du weißt schon, im vergangenen Sommer. Und die ist mit einem Kriminalpolizisten befreundet.«
»Was? Kriminalpolizei? Aber woran ist Henriette denn gestorben?«
»Ich kann dir nicht viel sagen, aber die Polizei ermittelt wegen ihres Todes, das hat Magda mir erzählt. Wir müssen damit rechnen, dass man uns auch befragen wird.«
Grete starrte sie an. »Jette hat sich nicht umgebracht, niemals! Doch nicht Jette –«
Alice blickte ihr eindringlich in die Augen. »Von Selbstmord war keine Rede.«
»Soll das heißen, sie ist … ermordet worden?« Gretes Hand umklammerte die Tischkante so fest, dass ihre Knöchel ganz weiß wurden.
Alice zuckte mit den Schultern. »Ich kann es auch nicht glauben. Aber wenn sie an einer Krankheit gestorben wäre, würde sich die Polizei nicht dafür interessieren. Außerdem war sie die Gesündeste von uns allen.«
Grete ließ sich wortlos auf einen Stuhl fallen. Sie stützte die Hände flach auf die Oberschenkel, senkte den Kopf und weinte.
Alice stand auf und legte ihr die Hand auf die Schulter. »Tut mir leid, ich hätte es dir schonender beibringen sollen. Aber ich bin selbst völlig durcheinander.«
»Wer tut denn so etwas?«, schluchzte Grete. »Und was können wir der Polizei schon sagen?«
»Vermutlich wollen sie wissen, mit wem sie Umgang pflegte, wer ihre Freunde und Feinde waren, wie sie über ihre Arbeit und die Kollegen gesprochen hat, ob sie einen Freund oder Männerbekanntschaften hatte –«
»Hör auf!«, rief Grete aufgebracht. »Sie werden ihr ganzes Leben ausbreiten, ihre Sachen durchwühlen, die Leute ausfragen …«
»Das ist normal. Wenn ihr jemand etwas angetan hat, soll er dafür bezahlen.«
»Er? Meinst du, es muss ein Mann gewesen sein?«
Alice hob die Arme. »Ich meine gar nichts, solange ich nichts Genaueres über ihren Tod weiß.«
»Wann ist die Beerdigung?« Grete wischte sich über die Augen. »Ich möchte gern hingehen.«
Alice, die als Ärztin über derartige Vorgänge Bescheid wusste, wog ihre Antwort ab. »Sobald die Leiche freigegeben wird.«
Gretes Kopf schoss in die Höhe. »Freigegeben? Du meinst, sie ist noch im – im Leichenschauhaus und wird dort –«
»Ja, das ist üblich.« Mehr brauchte Alice nicht zu sagen.
Grete fasste sich an den Hals, als könnte sie nicht schlucken. »Wenn uns die Polizei fragt, sollen wir ihnen dann alles sagen?«
Alice schaute sie
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