Die Tote von Charlottenburg: Kriminalroman (German Edition)
beherrschte. Sie trug das Haar modisch kurz, während ihre Freundin es im Nacken zusammengesteckt hatte.
Leo hatte ein Besprechungszimmer reservieren lassen, weil sein Büro zu beengt war. Auch Walther saß mit am Tisch, Sonnenschein protokollierte.
Die beiden Frauen wirkten ruhig und gefasst, verliehen aber ihrer Trauer und ihrem Entsetzen über den Tod der Freundin Ausdruck.
»Wir stehen Ihnen selbstverständlich bei allen Fragen zur Verfügung«, erklärte Dr. Vollnhals. »Doch vorher wüsste ich gern, wie Henriette zu Tode gekommen ist.«
Leo überlegte kurz und entschied sich dann für die Wahrheit. »Wir warten auf die Untersuchungsergebnisse eines Fachmanns. Vermutlich wurde sie vergiftet, aber wir kennen die Substanz noch nicht. Mehr kann ich Ihnen zurzeit leider nicht sagen. Nun zu meinen Fragen. Wie lange kannten Sie Frau Dr. Strauss?«
»Seit Kriegsanfang«, antwortete Dr. Vollnhals. »Damals hatte ich gerade meine Approbation erhalten.«
»Ich habe sie kurz nach dem Krieg kennengelernt, über Alice«, erklärte Grete Meyer.
Die Frauen bestätigten im Wesentlichen, was Adrian Lehnhardt, Dr. Stratow und Lisbeth Schröder bereits ausgesagt hatten: Henriette Strauss war begeisterungsfähig, engagiert, fordernd und an vielen Dingen interessiert gewesen. Doch Leo wollte mehr hören.
»Wie stand es mit dem Privatleben der Verstorbenen? Mit Männern, um genau zu sein? Oder auch Frauen.«
Die beiden sahen einander an. »Männer, wenn schon«, erklärte Grete Meyer. »Aber Henriette war vor allem an ihrer Arbeit interessiert.«
»Sie war auch ein Mensch mit Gefühlen«, erwiderte Leo. »Darüber wüsste ich gern mehr.«
»Nun, sie war kurze Zeit mit einem Arzt aus dem Krankenhaus liiert, aber das ist schon einige Jahre her.«
»Den Namen, bitte«, sagte Leo.
»Stratow«, erklärte Dr. Vollnhals. »Ihr Vorgesetzer. Er war einige Jahre jünger, doch das kümmerte Henriette nicht.«
Walther blickte auf. »Ich hatte so ein Gefühl«, sagte er leise zu Leo.
»Die Affäre dauerte nicht sehr lange«, erklärte Grete Meyer. »Henriette sagte, es habe Gerede gegeben, und so sehr habe sie ihn nun auch wieder nicht geliebt.«
Ihre Freundin lächelte. »Das war typisch für sie. Wenn sie zwischen ihrer Stelle und einem Mann hätte wählen müssen, wäre ihr die Stelle immer wichtiger gewesen.«
Leo schlug eine Aktenmappe auf und nahm den kurzen Brief heraus, den Walther in der Wohnung der Toten gefunden hatte. »Können Sie sich vorstellen, woher das stammt?«
»›Ich muss dich sehen. Warum hast du nicht angerufen? Habe ich dich irgendwie gekränkt? Dann verzeih mir, bitte. Dein Schweigen kann ich nicht ertragen‹«, las Dr. Vollnhals vor. »Woher haben Sie das?«
»Aus der Wohnung der Toten«, erklärte Walther. »Auf dem Sofa lag ein Buch. Als ich es aufhob, fiel dieses Schreiben heraus. Es ist nicht datiert, doch wenn sie unmittelbar vor ihrem Tod darin gelesen hat, könnte der Brief aus jüngerer Zeit stammen.«
Die Frauen schüttelten wie auf Kommando den Kopf.
»Ich habe keine Ahnung, wer das geschrieben haben könnte. Die Handschrift sieht eher männlich aus, aber der Inhalt könnte ebenso gut von einer Frau stammen«, sagte Grete Meyer.
»Es muss sich nicht zwangsläufig um eine Liebesbeziehung handeln«, gab die Ärztin zu bedenken. »Freunde oder Verwandte könnten so etwas auch schreiben.«
Leo nickte. Dann bemerkte er, wie die beiden Frauen einen Blick wechselten. Dr. Vollnhals räusperte sich.
»Da wäre noch etwas.« Sie zögerte. »Wir waren uns nicht sicher, ob wir es Ihnen sagen sollen, wegen der Schweigepflichtund so weiter. Aber wir sind zu der Überzeugung gelangt, dass es nicht darunter fällt.«
Leo beugte sich gespannt vor. »Ich höre.«
»Henriette hat uns erzählt – es ist schon einige Jahre her –, dass sie sich in einem Gewissenskonflikt befand. Auf ihrer Station, und nicht nur auf dieser, gibt es Mediziner, die ihre Patienten für, wie soll ich sagen, gewisse Zwecke einsetzen.«
Die Beamten schauten einander an.
»Ja?«, fragte Leo auffordernd.
»Es wurden Versuche durchgeführt.«
»Versuche welcher Art?«
»Infektionen mit Hautpilzen, beispielsweise. Zur Erprobung von neuen Medikamenten. Patienten wurden mit Krankheitserregern infiziert.«
»Sind Sie sicher?«, fragte Leo.
»Natürlich. Henriette hat uns eingehend darüber berichtet«, erwiderte Grete Meyer leicht ungehalten. »Zuerst wollte sie sich an die Krankenhausleitung
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