Die Tote von Charlottenburg: Kriminalroman (German Edition)
zusammengebissenen Zähnen. »DenkenSie dran, Sie wurden schon einmal strafversetzt. Beim nächsten Mal könnte es mit Ihrer Karriere in der Inspektion A endgültig vorbei sein.«
Dann schob Leo Sonnenschein und dessen Vater vor sich her in Richtung Ausgang. Er spürte, wie sich von Malchows Blick in seinen Rücken bohrte.
18
Als Adrian Lehnhardt von der Wohnungsbegehung zurückkehrte, fand er einen aufwendig gedeckten Mittagstisch vor. Seine Mutter erwartete ihn schon.
Er schaute erstaunt von ihr zu dem erlesenen Porzellan und den weißen Stoffservietten mit den silbernen gravierten Ringen. »Gibt es etwas zu feiern, Mutter?«
Rosa Lehnhardt zuckte mit den Schultern. »Einfach nur so, ein schönes Essen für uns beide. Du bist so früh aus dem Haus gegangen, da konnte ich dich nicht fragen.«
Eigentlich war er nicht hungrig, der Besuch in der vertrauten und doch so fremden Wohnung war ihm auf den Magen geschlagen, aber er wollte seiner Mutter nicht die Freude verderben. Also setzte er sich und breitete die Serviette auf dem Schoß aus.
»Wo bist du denn gewesen?«
»In der Musikalienhandlung wegen neuer Saiten und dann in Tante Jettes Wohnung. Mit der Polizei.«
Rosa, die gerade ihre Serviette nehmen wollte, hielt kurz in der Bewegung inne. »Mit der Polizei? Sie haben die Wohnung doch schon durchsucht.«
»Ja, aber nicht mit jemandem, der sich dort auskennt.« Als das Hausmädchen die Suppe auftrug, verstummte er und wartete, bis sie gegangen war. »Ich sollte mir ansehen, ob etwas fehlt oder verändert wurde.«
»Und?«
»Mir ist nur eins aufgefallen.«
»Was denn?« Sie schöpfte Suppe in die Tassen.
»Die Sprühflasche für das Rosenwasser, die Vater ihr geschenkt hat.«
»Was ist damit?«
»Sie war nicht mehr da. Ich kann mich nicht erinnern, ob sie noch auf der Kommode stand, als Tante Jette …«
»Ach so. Vielleicht hat sie sie weggeräumt. Oder sie ist kaputtgegangen«, meinte seine Mutter und aß einen Löffel Suppe. »Brauchst du noch Salz?«
»Nein, danke.«
»Es ist schön, dich mal für mich allein zu haben. Du warst in letzter Zeit so oft unterwegs. Die Nichte von Moltkes heiratet, wir sind eingeladen. Sie feiern im Esplanade, wir sollten die Einladung annehmen.«
»Was habe ich mit Moltkes Nichte zu tun?«, fragte Adrian ein wenig ungehalten. »Außerdem verkehren dort lauter alte Monarchisten. Da traut sich keiner, denen einmal auf die Füße zu treten.«
»Seit wann redest du so nachlässig daher? Du solltest dich öfter in Gesellschaft zeigen, mein Junge. Gute Verbindungen können einem Künstler nützlich sein.«
Er fragte lieber nicht, an welche Art von Verbindungen sie dachte. Plötzlich fehlte ihm Tante Jette so sehr, dass es wehtat. Sie hatte sich nie für die feine Gesellschaft oder deren Ansichten interessiert und auch nicht für das, was man gemeinhin als guten Ruf bezeichnete.
»Du bist so still.«
Er riss sich von seinen Erinnerungen los. »Ich überlege es mir, Mutter.« Er zögerte. »Ich hoffe, der Leichnam wird bald freigegeben. Ich möchte, dass Tante Jette in Würde beerdigt wird.«
»Davon nichts bei Tisch, Adrian.«
Sie aßen schweigend weiter. Erst im Nachhinein fiel ihm auf, wie achtlos sie die Sache mit der Flasche abgetan hatte.Sobald Leo zu Fuß vom Hackeschen Markt nach Norden in die Rosenthaler Straße einbog, spürte er die zunehmende Unruhe in den Straßen. Er hatte sich entschieden, keinen Wagen zu nehmen; damit würde er in der Gegend nur Aufsehen erregen. Sonnenschein und seinen Vater hatte er im Taxi vorausgeschickt.
Im Präsidium hatte er sich eine Dienstpistole besorgt. Die Dreyse 1907 war so handlich, dass er sie in die Manteltasche stecken konnte.
Als Leo in der Gormannstraße ankam, herrschte dort blanker Aufruhr. Auf der anderen Straßenseite zersplitterte ein Schaufenster, und der Mob drängte heran, um sich an den Auslagen zu bedienen. Das gesamte Viertel schien aus den Fugen zu geraten, auf den Straßen tobten Schlägereien, überlagert von Gebrüll, Flüchen und Hilferufen.
»Was ist hier eigentlich los?«, rief Leo in die Menge hinein.
Ein Mann deutete wild in die Luft. »Die Juden ham det wertbeständije Jeld vom Amt in Papierjeld jetauscht, unter Kurs! Dreckige Spekulanten sind det! Und wir ham nüscht zu fressen!«
»Die rotten sich zusammen!«, schrie jetzt ein anderer Mann neben Leo und winkte seinen Kumpanen. »Hinterher!«
Leo zeigte seine Dienstmarke. »Wer rottet sich zusammen?«
»Die vom RjF! Die haben
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