Die Tote von Charlottenburg: Kriminalroman (German Edition)
Waffen!« Der Mann stürzte den anderen nach.
RjF – der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten. Leo schaute sich um. Noch immer waren keine Schupos zu sehen. Aus allen Nebenstraßen drängten Menschen, fanden sich in Gruppen zusammen, brüllten, gestikulierten und trugen zum allgemeinen Chaos bei.
Leo schob sich durch die Menge, Glas knirschte unter seinen Füßen. Ein großes Gebäude, das musste der Arbeitsnachweis sein. Nun war es nicht mehr weit bis zur Fleischerei. Ein Stück weiter bot sich ihm ein jammervolles Bild.
Nathan Sonenszajn saß auf den Stufen vor seinem Laden, an die Tür hatte jemand mit weißer Farbe grob das Wort »jude« gepinselt. Die Fensterscheibe war zerschmettert. Der alte Mann hielt die Hände vor sich ausgebreitet und drehte sie hin und her, als wären sie ihm fremd geworden. Sein Sohn stand daneben, um ihn zu beschützen.
»Sonnenschein, Sie bringen Ihren Vater jetzt nach Hause. Holen Sie Bretter und Nägel, dann kommt der Mob wenigstens nicht in den Laden. Schnell!«
Sonnenschein zog seinen Vater von den Stufen hoch, und dieser schaute Leo sonderbar an. Dann ließ er sich von seinem Sohn wegführen.
Leo zündete sich eine Zigarette an und blickte sich voller Unbehagen um. Die Stimmung war so aufgeladen, dass er jeden Augenblick mit einem neuerlichen Angriff auf die Fleischerei rechnete. Hoffentlich tauchte Sonnenschein bald wieder auf.
Irgendwann kam der Kriminalassistent angehetzt, den Kragen offen, den Hut auf den Hinterkopf geschoben. Er schleppte einige Bretter hinter sich her und hatte einen Beutel mit Hammer und Nägeln umgehängt.
»Tut mir leid, aber meine Eltern wohnen in der Hirtenstraße. Das ist ein Stück zu laufen.«
»Schon gut. Los, wir nageln die Bretter quer davor.«
Während sie sich ans Werk machten, wurden sie von Wurfgeschossen am Rücken getroffen. Leo drehte sich um. Eine Gruppe Männer stand gaffend da. »Wieso helfen Se denen?«, fragte einer.
»Weil Leute wie Sie das kaputtmachen«, entgegnete Leo und schlug den nächsten Nagel ein.
»Judenfreund!«
Wieder traf ihn ein Stein. Leo ließ den Hammer fallen, zog die Pistole und richtete sie auf den Mann. »Das hier ist eine polizeiliche Maßnahme, verstanden?«
Der Mann wich erschrocken zurück, fasste sich aber wieder. »Polizei? Ick dachte, die gucken heute bloß zu.« Er deutete die Straße hinunter, und Leo bemerkte einen Mannschaftswagen der Schutzpolizei, der ein Stück weiter wartete. Niemand war ausgestiegen, niemand schritt ein.
Leo machte eine Bewegung mit der Waffe. »Verschwinden Sie, aber schnell!«
»Danke.« Sonnenschein sprach leise, obwohl die Männer mittlerweile weitergegangen waren.
»Glauben Sie bloß nicht, dass mir wohl dabei ist«, erwiderte Leo barsch.
Sie nagelten alle Bretter vor das zerbrochene Fenster.
»Wir bringen Ihrem Vater den Hammer zurück und gehen von dort aus ins Büro, denn wir haben ja jetzt endlich eine neue Spur im Fall Strauss. Wir müssen diese Sprühflasche finden.«
Als hinter ihnen Fußgetrappel erklang, drehte Sonnenschein sich um. Eine Gruppe von etwa zwanzig Männern lief in Richtung Bülowplatz. Einige trugen Gummiknüppel, manche hatten auch Pistolen in der Hand.
Leo und Sonnenschein sahen sich wortlos an und gingen schneller. In der Hirtenstraße klingelte Sonnenschein an einem unscheinbaren Haus. Eine ältere, dunkel gekleidete Frau mit Kopftuch öffnete, drückte ihn an sich und rief mit besorgter Stimme etwas auf Jiddisch.
Sonnenschein drehte sich verlegen um. »Meine Mutter, Herr Kommissar, Frau Mava Sonenszajn. Mutter, das ist mein Chef, Kommissar Wechsler.«
Die Frau nickte zaghaft und redete wieder auf ihren Sohn ein, der auf Jiddisch antwortete und ihr beruhigend über den Arm strich. Er legte den Hammer in den Hausflur, schob sie sanft hinein und schloss die Tür hinter ihr. »Verzeihung.«
»Schon gut. Gehen wir.«
Auf dem Bülowplatz hatte sich eine riesige Menschenmenge versammelt.
»Judenpack!«, ertönte ein Ruf, der schnell von anderen aufgenommen wurde.
Leo wandte sich an die Umstehenden. »Was ist hier los?«
»Bewaffnete Juden, die sind gefährlich!«, rief einer.
»Schlagt sie tot!«, brüllte ein anderer.
»Die sind vom Soldatenbund, aber das heißt gar nix. Wer Verbrechern hilft, ist selbst einer.«
»Der RjF«, sagte Sonnenschein. »Die sind vermutlich angerückt, um die Juden zu verteidigen.«
Die Menge geriet in Bewegung, drängte weiter in die Mitte, als wollte sie die Männer dort zerdrücken. Von
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