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Die Tote von Charlottenburg: Kriminalroman (German Edition)

Die Tote von Charlottenburg: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Tote von Charlottenburg: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Goga
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hinten kamen immer mehr dazu, sodass Leo und Sonnenschein mitgerissen wurden. »Bleiben Sie neben mir!«, schrie Leo, der sich mit Mühe auf den Füßen hielt.
    Ein mit Schupos besetzter Mannschaftswagen rollte heran. Vor ihnen rief ein Mann: »Helfen Sie uns! Bitte, helfen Sie uns doch!« Das musste einer der ehemaligen Frontkämpfer sein.
    Leo beobachtete fassungslos, wie der Wagen weiterfuhr. Aus den Kehlen der Angreifer drang lautes Hurra-Geschrei. Was hatte das zu bedeuten? Waren heute alle verrückt geworden?
    Dann gab es einen gewaltigen Ruck, die Menge wurde auseinandergedrängt. Die Leute vor ihnen wichen zurück. Eine Lücke tat sich auf. Sie sahen, wie Männer aufeinander losgingen, mit Fäusten und Gummiknüppeln auf die Gegner einhieben. Jetzt fuhr erneut ein Mannschaftswagen vor, der mit achtzehn Schupos besetzt war. Ein Mann, offenbar der Anführer des jüdischen Kampftrupps, hob die Hand und lief hin.
    »Gut, dass Sie endlich kommen«, hörte Leo ihn zu den Polizisten sagen. »Wir warten dringend auf Hilfe.«
    Doch der Mann hatte sich verrechnet. Während hinter ihm weiter die Schlacht tobte, trat der Einsatzleiter auf ihn zu und legte ihm Handschellen an.
    »Was soll das? Ich bin Dr.   Bernhard, Mitglied im Reichsbund jüdischer Frontsoldaten. Wir sind angegriffen worden, sehen Sie doch   …« Er deutete auf die Menschenmenge, die seine Kameraden nach wie vor eingekreist hatte.
    »Auf den Wagen!«, brüllte der Polizist und stieß ihn brutal vor sich her.
    Leo trat einen Schritt vor, doch Sonnenschein hielt ihn zurück. »Lassen Sie, so kommen die Leute wenigstens in Sicherheit.«
    Die Schupos verhafteten unter dem Johlen der Umstehenden den gesamten Trupp und verfrachteten ihn auf den Mannschaftswagen. Dann gab der Einsatzleiter das Signal zur Abfahrt.
    Auf dem Pflaster lagen plattgetretene Hüte und Mützen, man sah Blutspritzer und einige ausgeschlagene Zähne. Die Menge zerstreute sich, als hätte sie einem harmlosen Jahrmarktsvergnügen beigewohnt.
     
    Der Hof der Polizei-Inspektion in der Kleinen Alexanderstraße war von grauen Mauern umschlossen.
    Die Männer, die in Reih und Glied dastanden, waren wie erstarrt, das Entsetzen über das Geschehene saß tief.
    »Warum dürfen die das?«, flüsterte einer. »Wer sind denn hier die Verbrecher? Wo sind die Leute, die uns angegriffen haben?«
    »Ruhe!«, brüllte ein Polizeihauptmann, der mit energischen Schritten hin- und hermarschierte, als nähme er eine Parade ab.
    »Sie dürfen es nicht, sie tun es einfach«, flüsterte ein anderer. Er hatte vorhin auf dem Bülowplatz das Kommando übernommen und versucht, die Gegenwehr zu organisieren.Noch immer konnte er nicht fassen, dass sie, ehemalige Frontkämpfer, wie gemeine Kriminelle behandelt wurden, obwohl sie ihre Glaubensgenossen nur verteidigt hatten. Hatte der Hass schon so weit um sich gegriffen, dass er selbst vor Männern wie ihnen nicht Halt machte?
    Eines wusste er   – sobald sie ihn laufen ließen, würde er sich an die Presse wenden. Mit jedem Journalisten, der seine Geschichte hören wollte, würde er reden. Ganz Berlin, ganz Deutschland sollte erfahren, welches Unrecht hier geschehen war.
     
    Herbert von Malchow wusste, dass der Polizeipräsident ein Sozialdemokrat und damit nicht seine Kragenweite war, aber es lohnte den Versuch. Von Malchow hatte gute Beziehungen zum Innenministerium, die er notfalls spielen lassen konnte.
    Wilhelm Richter war von Beruf Feinmechaniker, kein Jurist, und nach von Malchows Dafürhalten eher aus politischen denn aus fachlichen Gründen ins Amt gelangt. Überall Gleichmacherei, so weit man blickte. Ein Polizeipräsident, der nicht Jura studiert hatte, so etwas hatte es früher nicht gegeben.
    »Herr von Malchow, bitte nehmen Sie Platz«, sagte Richter.
    »Danke. Ich komme in einer   … etwas heiklen Angelegenheit. Heute gab es Unruhen im Scheunenviertel.«
    Richters überraschter Blick verriet ihm, dass die Neuigkeit noch nicht bis zu ihm vorgedrungen war. »Weiter.«
    »Ein Kollege hat sich dorthin begeben, weil sein Vater bei diesen Unruhen verletzt wurde. Sie richten sich gegen die Ostjuden.« Er wartete, bis die Worte Wirkung zeigten.
    »Sein Vater ist Ostjude?«
    »Ja. Man hatte den Mann geschlagen.«
    »Und der Sohn hat nach dem Rechten gesehen. Das ist nicht verwerflich«, erklärte Richter.
    »Gewiss nicht. Nur hat ihn mein Kollege Wechsler begleitet, und ich habe seit Stunden nichts mehr von ihnen gehört. Allmählich mache ich mir

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