Die Tote von Charlottenburg: Kriminalroman (German Edition)
zu werfen, die Grete Meyer beim Denken halfen.
21
Der überraschende Anruf kam am frühen Nachmittag. »Ja, Herr Dr. Dahlke, natürlich erinnere ich mich an Sie. Was kann ich für Sie tun?«, fragte Leo.
»Ich weiß nicht, ob es etwas zu bedeuten hat.«
Ein beliebter Anfang für ein Gespräch mit der Polizei, dachte Leo amüsiert.
»Bei Ihrem Besuch erwähnten Sie, Dr. Strauss könne vergiftet worden sein.«
»Das ist richtig.«
»Und sie habe als letztes Wort ›Paternoster‹ gesagt.«
»Auch das ist richtig.«
»Nun, ich hatte es ganz vergessen, weil meine Reisen schon eine Weile zurückliegen. In Indien hörte ich von einer Pflanze, die man dort ›Gunga‹ oder ›Goonteh‹ nennt. Ein anderer Begriff für diesen Strauch ist jedoch ›Paternostererbse‹, da man Gebetsketten und Rosenkränze aus seinen Samen herstellt. Diese Samen wiederum sind hochgiftig.«
Leo räusperte sich. »Herr Dr. Dahlke, ich danke Ihnen sehr für diesen Hinweis. Wir sind im Laufe unserer Ermittlungen auch darauf gestoßen und vermuten, dass die Verstorbene mittels der Samen dieser Pflanze vergiftet wurde.«
»Ach so.« Der Arzt klang etwas enttäuscht. »Dann habe ich Ihnen ja nichts Neues mitgeteilt.«
Leo überlegte rasch. Der Mann war Mediziner, hatte Asien bereist und überdies Dr. Strauss gekannt. »Vielleicht können Sie uns auf andere Weise helfen. Wissen Sie, ob Dr. Strauss Kenntnis von dieser Pflanze hatte?«
»Ja, das hatte sie in der Tat«, sagte Dr. Dahlke. »Wir haben uns einmal darüber unterhalten, dass in Indien bisweilen die angespitzten Samen verwendet werden, um Tiere oder auch Menschen zu töten. Man benutzt sie als winzige Pfeile, deren Gift sich nach und nach im Körper verteilt. Andererseits wird die Paternostererbse auch als Heilpflanze verwendet und bewirkt bei vielen Menschen Gutes. Das setzt natürlich große Sachkenntnis voraus.«
»In unserem Fall ist es wohl zum Tod durch Einatmen der pulverisierten Samen gekommen, die in einer Flüssigkeit aufgelöst wurden«, erklärte Leo. »Vermutlich wurde eine Sprühflasche benutzt, um Dr. Strauss zu vergiften. Wir sind auf der Suche nach diesem Beweisstück.«
»Mit dieser Form der Vergiftung kenne ich mich nicht aus«, sagte Dr. Dahlke. »Aber ich kann Ihnen vielleicht noch einen Hinweis geben. Als ich mich mit Dr. Strauss über diese hübschen und doch so tödlichen Samen unterhielt, erwähnte sie, dass sie damals in Indien einen kleinen Standspiegel gekauft habe, der zur Dekoration mit Samenkörnern der Paternostererbse beklebt war. Ich weiß noch, dass ich sie davor warnte. Sie sagte nur leichthin, sie besitze ihn nicht mehr, sie habe ihn verschenkt.«
Leo ballte unwillkürlich die Faust. »Sie hat nicht zufällig gesagt, wem sie ihn geschenkt hat?«
»Leider nicht, Herr Kommissar. Ich hoffe, ich konnte Ihnen dennoch behilflich sein. Dieses furchtbare Verbrechen muss aufgeklärt werden. Besuchen Sie mich doch einmal in Frohnau, wenn das Haus fertig ist.«
»Ganz bestimmt, Herr Dr. Dahlke.«
Ich kann nicht mehr spielen. Wenn ich die Geige in die
Hand nehme, zittert der Bogen. Ich stehe da und starre vor mich hin, als wüsste ich nichts mit dem Instrument anzufangen.
Ich kann es mir nicht eingestehen und bin so damit beschäftigt, die Ahnung zu verdrängen, dass ich für nichts anderes mehr Sinn habe.
Bilde ich mir Dinge ein, weil ich nur noch an Tante
Jettes Tod denke? Weil ich sie mir so sehr zurückwünsche, dass ich nicht mehr Geige spielen kann? Wie soll ich mir Gewissheit verschaffen? Ich kann unmöglich …
Er ließ den Kopf in die Hände sinken.
»Verdammt«, sagte Leo und hängte den Hörer ein. »Ich habe mit Frau Meyer und Dr. Vollnhals gesprochen, sie haben den Spiegel nie gesehen.«
Walther überlegte. »Was ist mit der Schwester?«
Leo lehnte sich zurück und klopfte mit einem Stift gegen seine Zähne. »Ja, die Schwester. Auf die kommen wir immer wieder zurück.«
»Aber welches Motiv hätte sie gehabt? Und wie steht es mit dem nötigen Fachwissen?«, gab Walther zu bedenken.
»Vielleicht ist der Sohn der Schlüssel«, meinte Leo. »Über ihn kommen wir an Frau Lehnhardt heran.«
Er griff zum Telefon und rief Adrian Lehnhardt an.
An den Spiegel hatte ich gar nicht mehr gedacht. Dabei
war er hübsch, aus dunklem Holz, vielleicht zwanzig mal dreißig Zentimeter und mit einem kleinen Standfuß an der Rückseite versehen. Das Auffallendste daran waren die roten
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