Die Tote von Charlottenburg: Kriminalroman (German Edition)
Musiker verbieten wollte.«
Leo horchte auf. »Tatsächlich?«
»Es war kein Geheimnis, also kann ich es Ihnen sagen. Er war strikt dagegen. Lehnhardts hatten nur das eine Kind, und er wünschte sich natürlich einen Nachfolger für die Firma. Aber daran hat Adrian nie Interesse gezeigt. Seine Mutter stellte sich auf seine Seite. Er ist tatsächlich überaus begabt. Ein Fabrikant wäre aus ihm wohl nie geworden, aber das kann ein Vater nur schwer akzeptieren.«
»Wurde dieser Konflikt beigelegt?«
Behnke zögerte. »Hm, es blieb wohl ein wunder Punkt. Herr Lehnhardt hat schließlich nachgegeben, als er sah, dass Mutter und Tante sich gegen ihn wandten. Er musste es hinnehmen, wenn er die Familie nicht spalten wollte. Aber gefallen hat es ihm nicht. Nach seinem Tod wurde die Firma verkauft.«
Leo witterte eine Spur. »Woran ist Gustav Lehnhardt eigentlich gestorben? Er dürfte ja gar nicht so alt gewesen sein.«
»Erst sechsundfünfzig. Er hatte schon lange mit Magengeschwüren zu kämpfen, die ihm starke Beschwerden bereiteten. Auch litt er unter Herzproblemen, die durch die Sorge um die Firma womöglich verstärkt wurden. Dann stellte sich eine schwere Magenschleimhautenzündung ein, auch der Darm war angegriffen. Ich habe ihn in die Charité eingewiesen, doch sein Herz hat es nicht verkraftet.«
Leo notierte sich alles.
»Ich hoffe, Sie behandeln meine Aussage diskret«, sagte der alte Arzt. »Haben Sie schon eine Vorstellung, wer der Täter sein könnte? Ich kann es nach wie vor nicht fassen, dass …«
»Wir schließen niemanden aus unseren Überlegungen aus«, erwiderte Leo. »Ich danke Ihnen. Sollte Ihnen noch etwas einfallen, das von Belang sein könnte, rufen Sie mich bitte an.«
Auf dem Weg nach draußen kam ihm noch ein Gedanke, und er blieb stehen. »Wissen Sie eigentlich, weshalb der junge Herr Lehnhardt in Davos geboren ist?«
Der Arzt sah ihn überrascht an. »Nun, wenn ich mich recht entsinne, war Frau Lehnhardt damals leidend. Ich erfuhr erst später davon, da sie sich in die Behandlung eines Kollegen begeben hatte, der auf Frauenheilkunde spezialisiert ist. Er empfahl ihr einen längeren Aufenthalt in den Bergen, dort wurde das Kind geboren.«
»Vielen Dank«, sagte Leo und verabschiedete sich endgültig.
22
»Das ist ja mal eine Überraschung«, sagte Clara, als Leo die Leihbücherei betrat.
»Schön, dass du noch hier bist«, erwiderte er etwas zu förmlich und legte den Hut auf ein Regal. In den letzten Tagen war so viel passiert, dass er sich in dem vertrauten Raum ein wenig fremd fühlte.
Sie stand mit verschränkten Armen da und schaute ihn abwartend an.
»Ich wollte mich entschuldigen. Mein dummer Stolz ist mir in die Quere gekommen, du weißt schon, was ich meine …«
Doch sie half ihm nicht.
»Das Gefühl, alles selbst in die Hand nehmen zu müssen. Ich wollte, dass Ilse von sich aus etwas unternimmt, und als sie es getan hat, war ich wütend. Das war albern. Natürlich war es ihr gutes Recht, dich um Verschwiegenheit zu bitten.«
Er meinte, ein winziges Lächeln in ihren Mundwinkeln zu erkennen.
»Ich werde ihr sagen, dass ich ihren Schritt gutheiße. Und es tut mir leid, dass ich gestern einfach davongerannt bin.« Er hielt inne. »Reicht das?«
Clara musste lachen. Sie kam auf ihn zu und küsste ihn auf den Mund. »Warum machst du es dir nur so schwer?«
Er zuckte mit den Schultern. »Weil ich danach von dir geküsst werden möchte.«
»Das halte ich für eine Ausrede. Ich wollte übrigens Feierabend machen. Komm.«
Seine Mutter hatte lange überlegt, ob sie trotz Trauer in die Oper gehen sollte, sich dann aber für die Ablenkung entschieden. Ihre Freundinnen hatten sie um neunzehn Uhr abgeholt, und sie hatte so fröhlich gewirkt, dass es Adrian vorkam, als hätte er sich die Ereignisse der vergangenen Tage nur eingebildet. Waren es überhaupt Ereignisse und nicht nur diffuse Gefühle und Vermutungen? Und was genau vermutete er? Dass seine Mutter ihm etwas verschwieg, das mit ihr und Tante Jette zu tun hatte? Aber was sollte das sein?
Zusammen mit Dr. Behnke hatte er die ganze Geschichte ins Rollen gebracht und die Polizei ins Haus geholt. Hatte er einen Fehler begangen? Vielleicht konnte seine Mutter die Vorstellung, ihre Schwester sei ermordet worden, einfach nicht ertragen. Doch ihr wechselhaftes Verhalten gab ihm Rätsel auf.
Adrian war so in Gedanken, dass er erst vor ihrer Zimmertür bemerkte, wohin ihn seine Schritte gelenkt hatten.
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