Die Tote von Charlottenburg: Kriminalroman (German Edition)
Nachforschungen in Buchhandlungen, Bibliotheken und dem Pharmakologischen Institut hatten nichts ergeben. Die Sprühflasche war weiterhin nicht aufzufinden, niemand wusste etwas über ihren Verbleib.
»Eine verflixte Geschichte«, sagte Berns. »Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, es war kein Mord, wir haben nichts in der Hand. Und doch gibt es zu viele Ungereimtheiten.«
Robert Walther hob die Hand. »Leo, gib mir mal deine Mitschrift vom letzten Gespräch mit dem Arzt.«
Leo reichte ihm die Blätter, und Walther studierte sie gründlich. »Auf die Gefahr hin, dass ich aus einem ungelösten Fall zwei mache – erinnert ihr euch, was der Botaniker über die Samen erzählt hat? Dass man sie schlucken kann, ohne dass etwas geschieht?«
»Aber sobald man sie kaut, wirkt ihr tödliches Gift«, ergänzte Sonnenschein.
»Und wo wirkt es wohl? Im Verdauungstrakt, würde ich sagen.«
Alle drei schauten Leo an. »Ihr meint –«
»Der Arzt hat gesagt, Gustav Lehnhardt sei an einer Magenkrankheit gestorben, was durchaus möglich ist. Denkbar wäre aber auch, dass der Mörder die Krankheit ausgenutzt hat, um ihm ein Gift zu verabreichen. Es wurde nicht bemerkt,weil der Mann ohnehin ständig Magenschmerzen und damit verbundene Beschwerden hatte.«
»Ist das nicht ein bisschen weit hergeholt?«, fragte Berns zweifelnd. »Es hat beim Tod von Gustav Lehnhardt nie Hinweise auf einen Mord gegeben, und bloß weil der Mann es am Magen hatte, soll er vergiftet worden sein?«
»Es fiel mir nur auf, nachdem ich von der Magenkrankheit hörte«, erwiderte Walther. »Es kann Zufall sein, muss aber nicht. Und es kommt nicht selten vor, dass ein Giftmörder mehr als eine Tat begeht.«
»Damit würden wir den Kreis der Verdächtigen extrem einschränken«, folgerte Leo. »Falls Gustav Lehnhardt und Henriette Strauss von ein und derselben Person umgebracht wurden, kommen eigentlich nur Adrian Lehnhardt und seine Mutter infrage. Das Hauspersonal können wir wohl ausschließen, da fehlt neben einem Motiv auch die Verbindung zu Henriette Strauss, die nie dort gewohnt hat.«
Schweigen. Die vier Männer sahen einander an, alle spürten, dass sie an einem Wendepunkt standen.
»Angenommen, es wäre so«, fuhr Leo fort. »Dann hätte die Person die giftigen Samen, die auf den Spiegel geklebt waren, für zwei Morde verwendet. Einmal oral, vermutlich unter Speisen oder Getränke gemischt, was zum Tod von Gustav Lehnhardt führte. Da müssten wir übrigens Lehnbach fragen, ob sich eine Exhumierung lohnt. Zwei Jahre später dann pulverisiert und aufgelöst in der Sprühflasche, die das Rosenwasser enthielt. Möglich wäre das schon. Doch eins müssen wir bedenken – das Motiv. Warum hätte Adrian seinen Vater ermorden sollen? Gewiss, er sollte auf die Laufbahn als Musiker verzichten und die Firma übernehmen. Als Tatmotiv nicht ganz überzeugend, aber immerhin vorstellbar. Doch warum hätte Adrian seine Tante umbringen sollen, an der er nach eigenem Bekunden und den Aussagen der Zeugen so hing? Dennoch müssen wir davon ausgehen, dass wires in beiden Fällen – wenn es denn zwei Fälle geben sollte – mit demselben Täter zu tun haben. Aber ich sehe bei Adrian Lehnhardt einfach kein überzeugendes Motiv.«
Sonnenschein meldete sich zu Wort. »Und wie ist es mit der Witwe? Auch hier kann ich kein Motiv erkennen. Wir wissen natürlich nicht, wie glücklich die Ehe war, da müssten wir weitere Befragungen durchführen. Aber aus welchem Grund hätte Rosa ihre Schwester ermorden sollen? Es gibt keinerlei Hinweis auf ein Zerwürfnis. Selbst wenn Frau Lehnhardt eifersüchtig auf die große Zuneigung gewesen sein sollte, mit der ihr Sohn an seiner Tante hing, würde das nicht erklären, weshalb sie ihren Mann …«
Leo klopfte mit der flachen Hand auf die Tischplatte. »Das alles kann immer noch ein Zufall sein, das dürfen wir nicht vergessen. Berns, Sie fragen bei den Pharmakologen nach, wie sich eine orale Vergiftung mit Paternostererbsen äußert. Und auch, wie man die Samen aufbereiten muss, um sie in Lebensmitteln zu verabreichen. Robert, du erkundigst dich in der Charité nach dem ehemaligen Patienten Gustav Lehnhardt.« Dann wandte er sich an Sonnenschein: »Wir beide werden das Hauspersonal bei Lehnhardts befragen. Die Lösung liegt in der Familie, dessen bin ich mir sicher.«
Adrian Lehnhardt hatte die ganze Nacht nicht geschlafen. Als seine Mutter spät abends aus der Oper gekommen war, hatte er
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