Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tote von Charlottenburg: Kriminalroman (German Edition)

Die Tote von Charlottenburg: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Tote von Charlottenburg: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Goga
Vom Netzwerk:
war es, als zöge sich eine Schlinge immer enger um die Familie zusammen, schnürte sie ein, nähme ihnen die Luft zum Atmen. Ständig waren die Kriminalbeamten im Haus, fragten jetzt sogar die Dienstboten aus. Und er   – er schnüffelte seiner eigenen Mutter hinterher.
    Der Spiegel. Zerbrochen, verschenkt, irgendwo auf dem Dachboden verstaut, weil er ihr nicht mehr gefallen hatte?
    Das Buch. Was hatte das schon zu bedeuten? Vielleicht doch einfach nur ein Andenken an den Vater, nichts weiter. Und wenn sie es in der Wäscheschublade aufbewahrte, auch gut.
    Der Experimentierkasten. Eine hauchdünne Staubschicht auf den Utensilien, die zentimeterdick hätte sein müssen. Sein Vater war seit zwei Jahren tot und hatte den Kasten schon lange vorher nicht mehr angefasst. Möglich, dass Frieda den Keller aufgeräumt hatte. Aber in die Werkstatt ging niemand außer dem Gärtner. Wer bitte würde in einer Werkstatt Staub wischen?
    Er drückte die Stirn so fest gegen die Scheibe, dass es wehtat. Er wollte sich spüren, sich irgendwie von den kreisenden Gedanken ablenken, die ihm keine Ruhe ließen.
    Sollte er so tun, als wäre nichts geschehen? Unmöglich. So würde er keinen Frieden finden. Gab es überhaupt noch Frieden nach allem, was geschehen war?
    Er könnte mit seiner Mutter sprechen. Ihr sagen, dass er den Gesang und die rätselhaften Worte gehört hatte, sie fragen, weshalb ihr Spiegel nicht mehr im Schlafzimmer stand und das Buch aus Vaters Firma in ihrem Kleiderschrank lag. Doch da war etwas zwischen ihnen, etwas Fremdes, das er nicht benennen konnte. Dieses Gefühl, das ihn in ihr Zimmer getrieben hatte und in den Keller, den er seit einer Ewigkeit nicht mehr betreten hatte.
    Die dritte Möglichkeit war, zu Wechsler zu gehen und ihm alles zu sagen. Seine eigene Mutter zu belasten, obwohl es keinen echten Beweis gab. Ein Gefühl war kein Indiz.
    Er musste weitersuchen.

24
     
    Leo und Sonnenschein nahmen bei Aschinger ein spätes Mittagessen ein. Leo entschied sich für Buletten mit Kartoffelsalat, sein Kollege bestellte Rinderbraten ohne Rahmsoße.
    »Wie geht es Ihrem Vater?« Leo dachte an die Bilder vom Montag, die zerbrochenen Scheiben, geplünderten Läden, die geprügelten Menschen auf den Straßen.
    »Er nimmt es mit Humor. Wenn wir Juden keinen Humor hätten, wäre das Leben nicht zu ertragen«, erklärte Sonnenschein und spießte ein Stück Braten auf die Gabel.
    »Dann haben Sie bestimmt einen Witz parat«, forderte Leo ihn auf.
    »Gut, den kürzesten, der mir einfällt: ›Warum antwortet ein Jude immer mit einer Frage?   – Warum soll er nicht mit einer Frage antworten?‹«
    Leo lachte, wurde aber sofort wieder ernst. »Sie haben gesehen, was die Zeitungen schreiben. Fast keine heißt das Vorgehen der Polizei gut, das der Aufwiegler schon gar nicht.« Leo dachte an das unangenehme Gefühl, das ihn an jenem Tag beherrscht hatte: Er hatte sich geschämt, Polizeibeamter zu sein. Zuletzt war ihm das bei den Straßenkämpfen während der Revolution passiert. Damals hatte er einen Arbeiter vor prügelnden Polizisten geschützt. Als Erinnerung hatte er die Narbe im Gesicht zurückbehalten.
    »Was den Fall Strauss angeht   …«, sagte Leo und trank einen Schluck Weiße. »Ich werde aus Frau Lehnhardt nicht schlau. Sie gibt die trauernde Schwester, die empörte Mutterund Witwe, das alles ist durchaus nachvollziehbar. Und trotzdem ist da etwas   …«
    Sonnenschein nickte. »Als Sie sie nach der Sache mit der Firmenübernahme gefragt haben, bekam sie rote Flecken am Hals. Aber sie hat kein Motiv, jedenfalls keines, von dem wir wüssten. Vielleicht haben die Kollegen noch etwas Neues.
    Leo legte sein Besteck auf dem soeben geleerten Teller ab. »Der Sohn sah schlecht aus. Vielleicht hat es nichts mit dem Fall zu tun, aber er hatte es verdammt eilig, wegzukommen. Dabei hat er doch bisher so bereitwillig ausgesagt.«
    »Ja, das war merkwürdig.«
    »Wir müssen an den jungen Lehnhardt ran. Druck ausüben. Dem wird er nicht lange standhalten, so wie er vorhin ausgesehen hat. Da ist etwas im Busch, ganz sicher.«
    Sie bezahlten und kehrten zurück ins Präsidium.
     
    Im Hereinkommen wedelte Walther mit seinem Notizbuch. Leo hatte sich schon gefragt, weshalb er für den Termin in der Charité so lange gebraucht hatte. »Ich habe Neuigkeiten.«
    Sie setzten sich, Fräulein Meinelt brachte Kaffee.
    »Ich habe mich in der Inneren Abteilung nach den Vergiftungssymptomen erkundigt. Man sagte mir, dass man bei

Weitere Kostenlose Bücher