Die Tote von Charlottenburg: Kriminalroman (German Edition)
Wohnung verschwunden ist und niemand etwas über ihren Verbleib weiß? Dass Ihre Schwester sich unwissentlich selbst vergiftet hat, indem sie Rosenwasser versprühte und es dabei einatmete? Dahinter steckte ein teuflischer Plan.«
»Das ist infam, Herr Kommissar. Wer sollte auf eine solche Idee kommen? Diese Vorstellung erscheint mir geradezu grotesk. Wieso stirbt man, wenn man Rosenwasser versprüht? Woher soll das Gift überhaupt gekommen sein?«
»Diese Frage würden wir gerne dem Täter stellen«, erklärte Sonnenschein. »Folgendes wissen wir aber sehr genau: Das Gift entfaltet seine Wirkung, wenn man die Substanz mit Nahrung zu sich nimmt, aber auch, wenn man sie in Flüssigkeit gelöst oder als Pulver einatmet.«
Leo behielt die Frau genau im Auge, doch sie ließ keine Regung erkennen.
»Das klingt, als müsste der Täter ein Fachmann gewesen sein. Um welches Gift handelt es sich, wenn ich fragen darf?«
»Um die Samen der Paternostererbse«, erwiderte Sonnenschein. »Eine exotische Pflanze mit sehr hübschen, dekorativen Samenkörnern, die hochgiftig sind.«
»Das klingt alles ziemlich weit hergeholt«, stellte Rosa Lehnhardt fest. »Wie sind Sie darauf gekommen? Haben Ärzte das herausgefunden?«
»Das auch. Den wichtigsten Hinweis hat uns Ihre Schwester jedoch selbst geliefert.«
Leo glaubte, ein kaum merkliches Zucken wahrzunehmen, doch das konnte Einbildung sein.
»Wie meinen Sie das?«
»Bevor sie starb, sagte sie das Wort ›Paternoster‹. Ihr Sohn hat es gehört, konnte sich aber keinen Reim darauf machen und hat uns darauf hingewiesen. Als sich die Indizien für eine Vergiftung häuften, stellten wir die Verbindung zu dieser Pflanze her. Ihre Schwester hat in Indien einen Spiegel gekauft, dessen Rahmen mit den fraglichen Samenkörnern beklebt war. Wissen Sie zufällig, was daraus geworden ist? Bislang konnten wir nichts über seinen Verbleib ermitteln.«
»Bedaure, dazu kann ich Ihnen leider auch nichts sagen.« Sie verstummte. Leo ließ sie nicht aus den Augen. Alles, wassie sagten, schien an ihr abzuprallen. Entweder hatte sie nichts mit dem Tod ihrer Schwester zu tun oder sie fühlte sich so sicher, dass sie die Polizei nicht als Bedrohung empfand. Ihm war klar: Ohne den Spiegel und die Sprühflasche waren sie machtlos.
»Gut. Ach, eins noch. Bin ich richtig informiert, dass Ihr Mann seine Firma eigentlich Ihrem Sohn übergeben wollte, dieser aber eine Karriere als Musiker vorgezogen hat? Und dass die Firma deshalb nach dem Tod Ihres Mannes verkauft wurde?«
Rosa Lehnhardt kroch die Röte am Hals empor. »Was hat das bitte mit dem Tod meiner Schwester zu tun? Wie können Sie es wagen, unser Familienleben auszubreiten, das ist Vergangenheit und geht niemanden etwas an. Aber falls es Sie beruhigt – genau so ist es gewesen, Herr Kommissar.«
Selten hatte jemand Leos Dienstgrad mit einer solchen Verachtung ausgesprochen. »Gut, das wäre alles für heute. Vielen Dank für Ihr Entgegenkommen, Frau Lehnhardt.«
Leo und Sonnenschein wandten sich zum Gehen, doch Rosa Lehnhardt vertrat ihnen den Weg. »Meine Herren, ich werde mich über Sie beschweren. Sie haben mein Personal verhört und sind mir in einer provokanten Weise gegenübergetreten, die ich als beleidigend empfinde. Das werde ich nicht dulden. Wenn die Polizei noch einmal ins Haus kommt, wird man munkeln, die Familie werde verdächtigt. Das ist rufschädigend. Mein Sohn steht am Beginn einer großen Karriere, die werden Sie nicht zerstören.«
»Frau Lehnhardt, ich kann Ihnen versichern, dass bei der preußischen Polizei noch immer die Unschuldsvermutung gilt«, erwiderte Leo gelassen. »Aber Sie teilen hoffentlich unsere Ansicht, dass der Tod Ihrer Schwester nicht ungesühnt bleiben darf. Wir müssen jedem Hinweis nachgehen, sei er auch noch so unwahrscheinlich.«
Auf dem Weg zum Gartentor kam ihnen Adrian Lehnhardtentgegen. Er sah mitgenommen aus, blass und übernächtigt. Die beiden Kriminalbeamten blieben kurz stehen, doch der junge Geiger wollte sich offenbar auf kein Gespräch einlassen.
»Verzeihung, die Herren, ich bin in Eile.« Mit diesen Worten verschwand er im Haus.
Adrian Lehnhardt stand reglos am Fenster und schaute in den Garten hinaus, wobei sich seine Gefühle so rasch veränderten wie Licht und Schatten an einem wechselhaften Tag.
Wenn er nicht zur Polizei gegangen wäre – Unsinn, Behnke hatte auch einen Verdacht gehegt. Dennoch, er selbst hatte so sehr auf den Ermittlungen bestanden, und nun
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