Die Tote von Harvard
nur eine fleckenlose akademische Weste hatte, sondern bei der man sich auch sicher sein konnte, daß sie den Druck nicht aushalten würde.«
»Du träumst, meine Liebe«, sagte Andy. »Im Augenblick ist Janet vielleicht ein wenig verstört, aber ich versichere dir, jeder, der sie kennenlernte, ehe sie nach Harvard kam, hätte sie für den gefestigts-ten Menschen auf Erden gehalten, jemand, der jedem Druck gewachsen ist.«
»Ich glaube, Sie überschätzen das Berufungskomitee«, sagte Kate zu Penny, aber es klang nicht sehr überzeugt. »Man hatte gewußt, 59
daß Janet an ihrer alten Universität eine Lobby hatte – natürlich nur aus Männern bestehend –, die sie unterstützte. Und wahrscheinlich wußte man ebenso, wie isoliert Janet hier sein würde, inmitten der berühmten Arroganz und Kaltschnäuzigkeit von Harvard.«
»Na gut«, sagte Penny, »vielleicht traue ich ihnen größere Fähigkeiten zu, als sie haben. Ich gebe auch zu, daß die meisten Leute, die nach Harvard eingeladen werden, sich hier isoliert fühlen, angefangen vom jüngsten Lehrbeauftragten bis zum renommiertesten Professor. Und alle glauben natürlich, es stecke eine Verschwörung dahinter, während es sich doch um nichts anderes handelt als die wundervolle Art, in der man in Harvard miteinander umgeht. Aber wenn sie Janet nicht fertigmachen wollten, warum hat man sie dann betäubt und in eine Badewanne gesteckt und dann noch diese Frau herbeigerufen, die so ideal geeignet ist, Janet – vor allem vor sich selbst – zu diskreditieren?«
»Wer«, fragte Kate, »sind sie}«
»Leute, die Clarkville angestiftet hat, wenn Sie mich fragen«, sagte Andy. »Ein paar seiner Meßdiener, die auf der Party waren.«
»In dem Fall«, sagte Kate, »ist Clarkville mit dem Ergebnis wahrscheinlich nicht zufrieden. Das Interesse an der Geschichte flaut ab, und Janet hält sich tapfer, vielleicht, weil Sylvia und ich hier sind und sie sich bei uns ausweinen kann. Das Badewannen-Stück hat jedenfalls nicht funktioniert.«
»Kate, ich wünschte, Sie hätten den Job bekommen«, sagte Penny. Andy nickte zustimmend.
»Das schmeichelt mir und freut mich. Aber das hätten sie nicht gewagt. Sie konnten sich zwar denken, daß ich nicht annehmen wür-de, wollten es aber lieber nicht darauf ankommen lassen. Eine einzige echte Feministin auf einem Lehrstuhl könnte hier – nun, zwar keinen Schaden anrichten, aber eine Menge Ärger verursachen. In Harvard, Yale und Princeton hat man es schon immer verstanden, Ärger aus dem Weg zu gehen. Und das tut man am besten, indem man gut aufpaßt, wen man in seine Nähe läßt.«
»Viele Leute glauben, daß in Harvard auch die Studenten nach diesem Prinzip ausgewählt werden«, sagte Andy.
»Also, ich muß mich schon wundern über euch«, sagte Lizzy.
»Sobald wir zusammen sind, könnt ihr über nichts anderes als Harvard reden. Vor Janet gab es auch kein anderes Thema – wie schlecht die Studenten behandelt werden, wie arrogant die Professoren sind, endlos! Und doch wollten sich weder Andy noch Penny die 60
Chance entgehen lassen herzukommen. Und genau davon lebt Harvard – daß sich alle in seinem Ruhm suhlen wollen. Wenn ein paar der besten von euch, Dozenten wie Studenten, ›nein, danke‹ sagen und auch meinen würden, dann sähe vielleicht sogar Harvard ein, daß es an der Zeit ist, sich zu ändern. Aber Macht erkauft sich immer das, was sie braucht. Sogar Sie haben sich ja kaufen lassen«, sagte sie zu Kate.
»Sie meinen das Institut? Nein, das hat mich nicht gekauft. Wäre nicht der Schlamassel mit Janet und wäre ich nicht so schrecklich neugierig, hätte nichts mich hergelockt. Institutionen haben mich schon immer auf eine morbide Art fasziniert – die Armee, die Kir-che, die angesehenen Universitäten. Sie sind so unerbittlich. Ich kann einfach den Blick nicht abwenden. Für mich sind sie wie eine Monstrositäten-Show, und ich möchte um keinen Preis den Moment ver-passen, wenn sie ins Wanken kommen – falls das je geschieht.«
»Sie sind also aus Neugier gekommen?«
»Aus Neugier, und weil Freunde und Bullterrier mich darum gebeten haben.« Kate lächelte schief. »Aber wenn Sie es genau wissen wollen, vor allem bin ich gekommen, weil ich mich langweile. Wie es aussieht, interessieren sich immer weniger Leute für Literatur, und schließlich kann man nicht sein ganzes Leben lang Vorlesungen über
›Middlemarch‹ halten, ja, nicht einmal über ›Middlemarch‹. Außerdem glaube ich, daß die
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