Die Tote von Harvard
leich-tem Gepäck. Manchmal schrieb er ihr wundervolle Briefe, und manchmal hörte sie jahrelang nichts von ihm. Sie hoffte, daß das augenblickliche Durcheinander mit Janet und Harvard ihre Beziehung nicht verändern würde – wenn man von Beziehung sprechen konnte – und Moon nicht aus ihrem Leben verschwände. Moons Existenz hatte nichts mit irgendeiner Form von Alltag zu tun. Er hätte nie heiraten dürfen. Moon konnte man nach fünf oder zehn Jahren wiedersehen, und er fuhr genau dort fort, wo er damals stehengeblieben war. Aber Kate hatte große Zweifel, was seine Qualitä-
ten hinsichtlich des täglichen Lebens betraf. Und selbst wenn Kate in ihrer Jugend die Absicht gehabt hätte zu heiraten – mit Moon, der damals gerade darauf wartete, daß die sechziger Jahre ihn einholten, und heute noch nicht gemerkt zu haben schien, daß sie vorüber waren, wäre sie nicht vor den Traualtar getreten.
»Moon«, sagte Kate, als er seine Gitarre beiseite legte und sich ein Glas Wein einschenkte, »behandelt Harvard dich gut? Bist du froh, daß du hergekommen bist?«
»Froh bin ich nur wegen dir, sonst eigentlich nicht. Aber das Leben eines Gastdozenten hat große Vorteile: Man braucht weder auf irgendwelche Sitzungen zu gehen, noch wird man in die unvermeidlichen Fakultätsintrigen verwickelt. All diese schalen Sitzungen sind 54
für deine Janet natürlich wie Milch und Honig. Frag sie mal!«
»Sie ist nicht meine Janet«, sagte Kate leicht verärgert. »Falls ich dich taktloserweise darauf hinweisen darf: Sie war einmal deine.«
»Ich habe fast schon vergessen, daß ich einmal mit ihr verheiratet war. Kannst du dir das vorstellen? Sie hätte sich lieber mit irgendeinem etablierten Unityp einlassen sollen, der nach einem Jahr Ehe seine erste Affäre mit einer Studentin gehabt und ihr die Freiheit gelassen hätte, die ewig leidende Ehefrau zu spielen. Bei mir konnte sie das nicht spielen, sie war es.«
»Weil du mit keiner Studentin schliefst?«
»Weil ich auf einer echten Beziehung bestand. Echte Beziehungen machen Janet nervös. Einen Pluspunkt hat Harvard: Es ist der einzige Ort, außer vielleicht New York, wo Janet und ich an derselben Universität lehren können, ohne uns je zu treffen oder voneinander Kenntnis zu nehmen. Ich bin sicher, sie empfindet das auch so –
zumindest sah sie es so, bis sie auf die Idee kam, ich könnte eine Rolle bei ihrer unglücklichen Party gespielt haben.«
»Moon, wir hören lieber auf, über Janet zu reden. Es muß bestialisch für dich sein…«
»Ich finde es herrlich, wenn du Worte wie bestialisch benutzt.«
»Sag mir nur eins: Was ist deiner Meinung nach schiefgelaufen mit Janet? Warum ist sie in einem solchen Zustand? Das kann nicht nur an dieser Party liegen. Sie ist wie eine Katze auf einer heißen Ofenplatte, die nicht weiß, wo sie ihre Pfoten hinsetzen soll.«
»Genauso ist es. Janet hat das höchste Ziel erreicht, das sie sich stecken konnte – Harvard. Aber als sie erst einmal hier war, ent-sprach nichts ihrer Vorstellung. Auf subtile und mysteriöse Weise hatte Harvard sich verändert. Und statt hier die Königin zu sein, die mit ihrem Kabinett diniert, war Janet plötzlich gezwungen, andere Frauen zur Kenntnis zu nehmen. Janet hat ihr Leben lang andere Frauen ignoriert, wenn nicht sogar verachtet. Um ehrlich zu sein, ich wäre nicht überrascht, wenn sie ihren Dienst hier quittiert und wieder um ihren alten Job bittet.«
»Würde sie ihn zurückbekommen? Und wenn ja, könnte sie so tun, als wäre nichts geschehen?«
»Man würde ihn ihr wahrscheinlich zurückgeben, wenn etwas Gras über Janets kleinen Fehltritt gewachsen ist. Ihre alte Universität würde sich sogar geschmeichelt fühlen. Dort, wo sie herkommt, wäre Janet eindeutig glücklicher; da wußte sie, was man von ihr erwartete.
Leute wie Janet können immer wieder zurückgehen.«
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»Ich denke, eine Menge Leute wären froh, wenn sie es täte.«
Andy und Lizzy Sladovski bewohnten das Obergeschoß eines zweistöckigen Altbaus in einer Gegend von Cambridge, die zwar in der Nähe von Harvard lag, aber noch nicht ganz von dessen erbar-mungsloser Expansion vereinnahmt worden war. Sowie Kate die Wohnung betreten und sich an den Tisch im großen Wohnzimmer gesetzt hatte, entspannte sie sich. Ihren Wein hatte sie gespendet, ließ sich jetzt einen Scotch in die Hand drücken und legte die Füße hoch. Sie fand, Andy und Lizzy waren auf eine Art liebenswert, wie sie heute nur noch wenige Menschen
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