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Die Tote von Harvard

Die Tote von Harvard

Titel: Die Tote von Harvard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Cross
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politischen und sozialen Bewegungen heute so wichtig sind wie es die philosophischen Dispute zu meiner Stu-dienzeit waren. Warum hab ich diesen schrecklichen Satz nur angefangen?«
    »Um zu sagen, warum Sie nach Harvard kamen.«
    »Ach ja. Weil ich glaube, daß das, was hier geschieht – mit Janet geschieht –, von Bedeutung ist. Was dagegen am Fachbereich Anglistik an meiner Universität im Augenblick passiert, ist verdammt unwichtig. Deshalb bin ich hier.«
    Einige Tage später saß Kate in ihrem Arbeitszimmer im Institut, sah hinaus auf den Campus und konstruierte Sätze. Kate formte ihre Sätze so wie ein Bildhauer Ton. Das Ergebnis war zwar ein anderes, aber Kate hatte schon immer gefunden, daß der Vorgang der gleiche ist. Das einzige Geräusch weit und breit war die Schreibmaschine im Nebenzimmer. Auch die Frau, die gerade über den Campus lief und seltsame Verrenkungen im Schnee vollführte, lenkte Kates Aufmerksamkeit nicht ernsthaft ab. Die Frau erschien jeden Tag und immer zur gleichen Zeit an diesem Fleck, und sie gehörte für Kate inzwi-61

    schen genauso zur Szenerie wie die im Wind schwankenden Bäume.
    Daher schreckte Kate hoch, als es an der Tür klopfte, nicht vorsichtig, wie sonst am Institut die Regel, sondern laut und ungeduldig.
    Kate öffnete die Tür, und vor ihr stand, starr vor Ärger, die Empfangsdame. »Es ist nicht unsere Aufgabe, die Lehrbeauftragten ans Telefon zu holen«, verkündete sie. »Wenn Sie wichtige Anrufe erwarten, sollten Sie ein Telefon für Ihr Zimmer beantragen. Die Person am Telefon ließ sich aber einfach nicht abwimmeln, sondern bestand darauf, daß ich Sie hole, sagte, es sei eine Frage von Leben und Tod. Ich hoffe nur, es stimmt.«
    Stumm, besorgt und schuldbewußt folgte Kate der jungen Frau die Treppe hinunter. Sie nahm den Hörer auf und lächelte der Empfangsdame dankbar zu.
    »Kate Fansler hier«, sagte sie in das stumme Telefon.
    »Professor Fansler? Hier Clarkville. Fachbereich Anglistik.«
    (Hab ich es mir doch gedacht, sagte Kate zu sich selbst. Keine Frau hätte es fertiggebracht, die Empfangsdame zu überzeugen, daß sie aus einem wichtigen Grund anruft.)
    »Ja«, sagte Kate. Nahm der Fachbereich Anglistik zum guten Schluß also doch Kenntnis von ihr?
    »Ich fürchte, ich wußte nicht, wen ich sonst hätte anrufen sollen.
    Und da Janet Mandelbaum Sie einmal erwähnte… Ich habe natürlich die Polizei benachrichtigt.«
    »Die Polizei?«
    »Janet Mandelbaum ist tot, fürchte ich. Entschuldigen Sie, es muß ein Schock für Sie sein, aber…«
    »Wo ist sie?«
    »Sie ist… in der Männertoilette, fürchte ich. Dort habe ich sie gefunden.«
    »In der Männertoilette?«
    »Ja, hier im Warren-Haus. Ich hielt es für besser, Ihnen Bescheid zu sagen. Wahrscheinlich wird die Polizei mit Ihnen sprechen wollen.«
    »Danke für den Anruf.« Kate legte den Hörer auf und starrte so benommen vor sich hin, daß die Empfangsdame fragte, ob etwas passiert sei.
    »Passiert?« sagte Kate. Und antwortete nicht.
    62

Sechs
    »Zwo Inconsistenzen können nicht beide recht seyn; aber Menschen zugeschrieben, können sehr wohl beide wahr seyn.«

    Samuel Johnson ›Rasselas‹

    »›Bis zum Frühjahr 1970‹ hab ich dem Polizisten gesagt, ›gab es keine vollbestallte Professorin in Harvard, und im Herbst 1970 gab es zwei.‹ Dann hab ich ihm noch gesagt, ich hätt den Kopf voll von solchen Daten, für den Fall, daß er etwas damit anfangen kann:«
    »Und was hat er gesagt?« fragte Sylvia.
    »Er sah mich an, als war ich geistesgestört, was sich aber als ganz nützlich erwies, denn so konnte ich ihm ein paar Informationen aus der Nase ziehen, ohne daß er es merkte.«
    »Und natürlich hast du ihn gleich damit eingeschüchtert, daß du mit einer der größten Kapazitäten auf dem Gebiet von Polizeimethoden, Beweissicherung etc. verheiratet bist.«
    »Nein, das nicht gerade. Trotzdem mußte er das Gefühl haben, daß ich mich in diesen Dingen schrecklich gut auskenne. Ich ließ durchblicken, daß Reed im Schlaf öfter von Giften murmelt und von Leichen, die vom Tatort entfernt und woanders hingeschafft werden.
    Ich glaube, das hat gewirkt.«
    »Und wurde die Leiche woanders hingebracht?«
    »Ja, Gott sei Dank, ja. Gott sei Dank deshalb, weil es entsetzlich wäre, wenn man erklären müßte, was Janet auf der Herrentoilette zu suchen hatte. Tausend vernünftige Gründe können einem da in den Kopf kommen, das heißt, in deinen und meinen, aber wir wissen ja, in welchen Bahnen

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