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Die Tote von Harvard

Die Tote von Harvard

Titel: Die Tote von Harvard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Cross
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nichts.
    Sie merken bestimmt, daß das Interview alles andere als gut lief.
    Wie ihr das Leben in Cambridge gefalle, fragte ich sie dann. Leigh-103

    ton sagt immer, Cambridge sei so groß und blättrig. Den Ausdruck gebrauchte ich auch bei ihr, und ich nehme an, sie verstand, was ich mit blättrig sagen wollte, aber sie ging nicht drauf ein, sprach nur davon, wie zuwider ihr der Harvard Square sei, der Verkehr, die schreckliche Baustelle an der Metro, der Krach und all die jungen Leute – die ewigen Gruppen und Paare. In Harvard träten alle nur gruppen- oder paarweise auf, sagte sie, und niemand sei ernsthaft.
    Sie habe immer geglaubt, Harvard-Studenten wären ernsthaft. Sind Sie sicher, daß Sie das alles interessiert?«
    »Erzählen Sie weiter.«
    »Dann sagte sie, das solle ich aber nicht schreiben, und ich sagte, das würde ich auch nicht. Aber ob sie mir nicht doch etwas zu dem neuen Lehrstuhl sagen wolle, fragte ich sie noch einmal. Und dann, na, dann ging alles wieder von vorn los. Sie redete von der Zemurray-Stone-Professur, und warum ich nicht zu der Frau ginge, die sie im Augenblick innehabe, und die befrage. Warum ich mich ausgerechnet auf sie kaprizieren müsse. Darauf ich: Aber Frau Professor Mandelbaum, für uns ernsthafte Studentinnen sind Sie sehr wichtig.
    Sie verkörpern ein neues Rollenvorbild für uns. Wir studieren hier, wir bezahlen dieselben Gebühren wie die Studenten, arbeiten genauso hart wie sie und machen bessere Examen. Aber wenn wir uns unter den Professoren umsehen, entdecken wir kaum eine Frau.«
    »Worauf sie sagte«, ergänzte Kate, als Judith Luft holte, »wenn sich mehr Frauen qualifizieren würden, gäbe es auch mehr Professorinnen an den Fakultäten.«
    »Genau. Außerdem sagte sie noch, es gebe schließlich genug Colleges für Frauen, da könnten wir ja hingehen, wenn uns das lieber wäre, und den Ausdruck ›Rollenvorbild‹ wolle sie nie mehr hören.
    Aber wissen Sie«, sagte Judith nach einer Pause, »all diesen Quatsch hab ich schon oft gehört. Es gibt viele Frauen, die so daherreden. Als ich noch Kind war, gab’s zum Beispiel viele Mütter, die froh waren, daß ihre süßen kleinen Mädchen in der Baseball-Jugendmannschaft mitspielen durften, wo früher nur Jungs zugelassen waren, aber trotzdem erzählten sie einem ständig, mit Emanzipation habe das überhaupt nichts zu tun. Was Janet Mandelbaum sagte, war zwar nichts Neues, aber ich fand es deprimierend, daß man sich immer noch so etwas anhören muß, noch dazu von jemand, der es so weit gebracht hatte wie sie. Aber irgendwie schwang bei ihr auch noch etwas anderes mit.«
    »Was?«
    104

    »Ich weiß nicht. Sie hätte das Interview ja einfach abbrechen können. Andere Frauen tun das. Sie gab mir zwar nicht das Gefühl, daß sie sich unbedingt mit mir streiten wollte, aber…«
    »… als wäre das Thema wie ein schlimmer Zahn für sie, an dem sie dauernd mit der Zunge herumspielen mußte – so ungefähr?«
    »Ja, so etwa. Wenn ich jetzt darüber nachdenke – ich glaube, ehrlich gesagt, sie war sehr einsam.«
    »Wurde noch mehr besprochen?«
    »Nicht viel. Ich hätte natürlich aus dem Interview einen Artikel zusammenbasteln können, aber die wichtige Neuigkeit wäre negativ gewesen: ›Neue Professorin distanziert sich von der Frauenbewegung‹ oder so ähnlich.«
    »Klingt nach Margaret Thatcher.«
    »Genau das sagte mein Redakteur.«
    »Eins ist mir aber immer noch rätselhaft«, sagte Kate. »Was er-hoffte sie sich eigentlich von Harvard, von ihrem Leben hier?«
    »Ich denke, ich weiß es. Sie hat mir von einem Besuch hier er-zählt, ehe sie ihre Professur antrat. Sie war in Clarkvilles Vorlesungen über die Viktorianer. Er hält sie im Sanders-Hörsaal. Sie wissen ja, fünfhundert Leute passen da rein. Und seine Vorlesungen sind großartig.«
    Nicht zum ersten Mal dachte Kate über das Rätsel der menschlichen Natur nach. Jemand, der Clarkville im Dozentenzimmer des Adams-Hauses erlebt hatte, oder gar im Warren-Haus, hätte es kaum für möglich gehalten, daß dieser Mann großartige Vorlesungen hielt!
    »Ich glaube, sie wollte so sein wie er«, fuhr Judith fort. »Sie wollte, daß alle Welt zu ihren Vorlesungen kommt.
    Aber das wäre ihr natürlich nie gelungen, nicht hier in Harvard.
    In der ersten Semesterwoche riechen die Studenten überall hinein.
    Aus reiner Neugier kamen auch viele zu ihr, aber nur sehr wenige belegten dann ihre Kurse. Die Leute waren nicht gerade gefesselt von ihr, und außerdem

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