Die Tote Von Higher Barton: Ein Cornwall-Krimi
„Ach, ja?“ oder „Wie interessant!“ ein. Die Lauchsuppe, die unter anderen Umständen bestimmt äußert delikat geschmeckt hätte, wollte ihr kaum die Kehle heruntergehen, und das Brathähnchen in Weißwein-Sahne-Soße lag wie Pappe in Mabels Mund.
„Fühlst du dich nicht wohl?“, fragte Abigail, der Mabels Schweigsamkeit nach einer Weile auffiel, und sah ihre Cousine besorgt an.
„Nein, nein, es geht mir gut“, versicherte Mabel, wich Abigails Blick jedoch aus.
„Verzeih, wenn ich das sage, aber du bist furchtbar blass. Wahrscheinlich überfordert dich die Arbeit bei diesem Theaterverein, schließlich hast du den ganzen Sonntagnachmittag dort verbracht, und ich befürchte, du wirst nachher wieder an dem Kostüm nähen.“
Mabel nickte. Tatsächlich war sie mit den Änderungen an Tims Kostüm durch die anderen Ereignisse kaum vorangekommen, dabei erwartete Eric Cardell das fertige Stück morgen Abend bei der nächsten Probe.
„Wenn der Basar dir zu viel wird …“, fuhr Abigail fort.
„Das ist schon in Ordnung.“ Mabel winkte ab. „Ich habe nur keinen Hunger, weil ich am Nachmittag Kuchen gegessen habe.“ Diese Ausrede war ihr gerade eingefallen und sie hoffte, sie würde glaubhaft klingen. „Du verzeihst, wenn ich mich zurückziehe? In der Tat sollte ich noch ein Weilchen an dem Kostüm nähen.“
Abigail nickte, und Mabel hatte das Gefühl, dass sie sich ernsthaft um sie sorgte. Als sie durch die Halle ging, betrat Justin Parker das Haus und steuerte, nachdem er Mabel ein kurzes „Hallo“ zugeworfen hatte, zielstrebig auf das Speisezimmer zu. Gut sah der Chauffeur schon aus, das musste Mabel sich eingestehen. Heute Abend trug er eine blaue verwaschene Jeans, ein helles Hemd ohne Krawatte und einen dunkelblauen legeren Blazer, der die Farbe seiner Augen perfekt zur Geltung brachte. Ob Parker wohl Sarah Miller gekannt hatte? Die Frage kam Mabel in den Sinn, als sie über seine jugendlich anmutende Attraktivität nachdachte. Es war eher unwahrscheinlich, denn so viel sie mitbekommen hatte, hielt sich Parker nur selten im Dorf auf. Er schien nicht derTyp zu sein, der seine Freizeit im örtlichen Pub verbrachte oder sonstigen Vergnügungen nachging. Offenbar widmete er sich voll und ganz seiner älteren Geliebten, trotzdem hegte Mabel noch immer Zweifel an der Aufrichtigkeit seiner Zuneigung zu Abigail. Ein neuer Gedanke nahm Gestalt an: Was, wenn Abigail befürchtete, Justin würde sie nicht mehr lieben, wenn sie ihr Vermögen mit jemandem – mit Sarah – teilen müsste? Vielleicht hatte sie Angst, Justin zu verlieren, vielleicht sogar an Sarah, die ausgesprochen schön gewesen war. Abigail konnte unmöglich wissen, dass sich die junge Frau aus Männern nichts machte. Als Arthurs Tochter und Erbin hätte Sarah das Recht gehabt, auf Higher Barton zu leben – und damit in ständiger Nähe von Justin. Abigail war von dem jungen Mann regelrecht besessen, und Mabel kannte ihre Cousine zu wenig, um zu beurteilen, ob sie zur Eifersucht neigte. Tatsache war jedoch, dass aus Eifersucht häufig gemordet wurde. Somit hätte Abigail nun gleich zwei starke Motive, Sarah aus dem Weg zu räumen. Sie hatte ihr das Erbe streitig gemacht und vielleicht sogar den Liebhaber. Welch eine Ironie des Schicksals, dachte Mabel, erst betrügt Arthur Abigail vor über zwanzig Jahren und zeugt ein außereheliches Kind, und dann bedroht dieses Kind womöglich die Liebe zwischen ihr und dem neuen Mann an ihrer Seite.
Grübelnd stützte Mabel ihr Kinn in die Hände und schaute aus dem Fenster. Das Abendlicht warf erste Schatten über die Blumenbeete des Gartens, zwei Elstern stolzierten über den Rasen und Kaninchen hoppelten am Heckenrand entlang – sehr zum Verdruss von George Penrose, der sich nach Kräften bemühte, der Kaninchenplage, die diese Gegend regelmäßig heimsuchte, Herr zu werden. Alles schien so still und friedlich zu sein, als gebe es keine Geheimnisse und erst recht keineMorde. Mabel seufzte, riss ihren Blick von der Landschaft los und nahm das Kostüm von Prinz Charles zur Hand, um wenigstens noch mit dem Kürzen des Umhangs an diesem Abend fertig zu werden.
Am nächsten Morgen ließ Abigail sich von Justin nach Bodmin fahren, um ihren Friseur aufzusuchen, obwohl ihr letzter Besuch erst wenige Tage her war. Abigail legte viel Wert auf ein gepflegtes Äußeres und ließ an ihre Haare niemand anderen als André, der zwar Engländer war, aber André klang eben besser als ein schlichter Andrew. In
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