Die Tote Von Higher Barton: Ein Cornwall-Krimi
„Du leidest wirklich unter Verfolgungswahn, liebe Cousine. Gut, dass du jetzt im Krankenhausbist, die Ärzte werden dir bestimmt helfen können. In jeder Beziehung …“
Obwohl Abigail den Satz nicht beendete, verstand Mabel, was sie meinte, darum sagte sie kühl: „Wieso bin ich eigentlich in einem Einzelzimmer? Ich habe keine Zusatzversicherung.“
„Du bist auf der Privatstation“, unterbrach Abigail. „Offenbar wusste man bei deiner Einlieferung von der verwandtschaftlichen Beziehung zu mir, schließlich bin ich in der Gegend keine Unbekannte, und man ging davon aus, ich würde für die Kosten aufkommen.“
Mabel setzte sich auf. Sofort wurde ihr schwindlig, und durch ihren Kopf schossen Wellen des Schmerzes, als sie rief: „Das möchte ich auf keinen Fall!“
Abigail winkte ab. „Es ist selbstverständlich, dass ich die Rechnung bezahle. Ich werde Mrs Penrose anweisen, ein paar Sachen zusammenzupacken. Du brauchst Nachthemden und Kosmetikartikel, sie kann es dir morgen vorbeibringen.“
„Das ist nicht nötig.“ Entschlossen sah Mabel Abigail an. „Ich werde heute wieder gehen, eine stationäre Behandlung ist überflüssig.“
„Sollte das nicht der Arzt entscheiden?“ Abigail kehrte unwillig zu ihrem Stuhl zurück. „Du hast die Schwester gehört – wahrscheinlich hast du eine Gehirnerschütterung. Dir als Krankenschwester muss ich nun wirklich nicht sagen, dass …“
„Du hast recht“, erneut unterbrach Mabel ihre Cousine, „eben weil ich von dem Metier eine Ahnung habe, bestimme ich selbst, wie lange ich hier bleibe.“
„Mabel, das ist mehr als unvernünftig“, mahnte Abigail, doch Mabel wollte nichts davon hören.
„Heute beginnt die Festwoche in Lower Barton“, sagte sie. „Die möchte ich nicht versäumen, außerdem wartet Eric Cardell auf die Kostüme.“
Abigail seufzte und erhob sich.
„Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du furchtbar stur bist, Mabel Clarence?“ Sie zuckte mit den Schultern. „Mach, was du für richtig hältst, selbstverständlich wirst du auf Higher Barton jede Pflege erhalten, die du benötigst.“
Mabel hob zum Abschied ihre freie Hand und wartete, bis Abigail die Tür hinter sich geschlossen hatte. Dann schob sie das Rädchen an der Infusionsflasche nach oben, damit der Zufluss der Elektrolytlösung gestoppt wurde, entfernte das Pflaster auf ihrem Handrücken und zog mit einem Ruck die Nadel heraus. Mit zwei Fingern drückte sie auf den Einstich und hielt die Hand hoch, bis die Blutung aufhörte, dann klingelte sie nach der Schwester. Die junge Frau erschien binnen einer Minute – ein Vorteil, wenn man Privatpatientin war.
„Was machen Sie da?“, rief die Schwester, als sie sah, dass sich Mabel die Infusion entfernt hatte.
„Wo sind meine Sachen?“, fragte Mabel. „Sind meine Handtasche und die Geldbörse da?“
Die Schwester nickte verdutzt und deutete auf den Schrank.
„Ihre Kleidung ist allerdings etwas in Mitleidenschaft gezogen.“
Mabel winkte ab. „Das macht nicht. Bitte, helfen Sie mir, mich anzuziehen.“
Abwehrend hob die Schwester die Hände. „Sie können nicht einfach gehen, Miss Clarence. Das kann ich nicht zulassen, der Arzt …“
„Dann rufen Sie unverzüglich den Arzt, ich möchte ihn sprechen.“ Mabel war sonst eher eine ruhige, ausgeglichene Person und ein weiteres Mal über sich selbst erstaunt, wie bestimmend sie klingen konnte. „Er soll den Wisch, auf dem ich unterschreibe, dass ich auf eigene Verantwortung gehe, gleich mitbringen. Aber beeilen Sie sich, ich habe es eilig.“
Die Krankenschwester zögerte, deutlich war ihr anzumerken, dass sie etwas sagen wollte, dann zuckte sie mit den Schultern und verließ das Zimmer.
Eine Stunde später stand Mabel auf der Straße. Natürlich hatte der behandelnde Arzt sie zuerst nicht gehen lassen wollen, Mabel hatte sich schlussendlich aber durchgesetzt. Die Schwester hatte recht gehabt – ihre Hose und der Baumwollpullover, den sie bei dem Unfall getragen hatte, waren verschmutzt und mit dem Blut aus ihrer Platzwunde am Kopf befleckt, der Mantel am Ärmel eingerissen. Darauf konnte Mabel jedoch keine Rücksicht nehmen, als sie in das Taxi stieg, das sie von einer Telefonzelle aus gerufen hatte, denn ihr Handy, ohnehin mit leerem Akku, war bei dem Unfall zerstört worden. Den erstaunten Blick des Taxifahrers ignorierend gab sie Victor Daniels Adresse an und lehnte sich dann mit geschlossenen Augen in den Polstern zurück. Mabel war sich sicher, niemand
Weitere Kostenlose Bücher