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Die Tote Von Higher Barton: Ein Cornwall-Krimi

Die Tote Von Higher Barton: Ein Cornwall-Krimi

Titel: Die Tote Von Higher Barton: Ein Cornwall-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Michéle
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sie unter dem Stuhl abgestellt hatte, und ging zur Tür. Eine Hand bereits auf der Klinke, wandte sie den Kopf und sah Eric über die Schulter hinweg mit einem funkelnden Blick, in dem eine Spur Siegessicherheit lag, an. „Ich werde es mir überlegen, lieber Eric. Du wirst von mir hören.“
    Nicht nur Mabel zuckte zusammen, als hinter Jennifer die Tür krachend ins Schloss fiel. Für einen Moment herrschte betretenes Schweigen, dann sprachen alle durcheinander.
    „Ich finde, sie hat recht“, bemerkte der hübsche dunkelhaarige Mann. „Schließlich wurde Jenny einfach ausgebootet.“
    „Sie muss aber auch an die Gruppe denken“, rief eine ältere Frau, „Jennifer kann uns jetzt nicht im Stich lassen.“
    Mabel hörte sich die verschiedenen Meinungen an. Nach und nach setzten sich die Puzzleteile zusammen. Und während die Gruppe weiterdiskutierte, bemerkte Mabel ein Mädchen, das ihren Stuhl ein Stück aus dem Kreis herausgeschoben hatte und sich an dem lauten und heftigen Gespräch nicht beteiligte. Zuvor war sie ihr nicht aufgefallen und Mabel dachte, dass wohl niemand das Mädchen auf den ersten Blick bemerkte. Sie mochte Anfang zwanzig sein, war klein, nicht nur schlank, sondern hager, und ihr spitzes Gesicht konnte man nicht als ansprechend im landläufigen Sinn bezeichnen, dazu standen ihre grauen Augen zu eng beisammen, war ihre Nase zu groß und leicht gekrümmt und ihre Lippen zu schmal. Das mausbraune Haar trug sie zu einem Knoten in den Nacken gesteckt, was ihr einen strengen Ausdruck verlieh und siezugleich älter wirken ließ. Ihre verwaschene Jeans war ohne Passform und das dunkelgrüne Sweatshirt hing wie in Sack um ihren knochigen Oberkörper und ließ keine weiblichen Formen erkennen.
    „Seid jetzt mal alle still!“ Laut übertöne Eric Cardells Stimme die Gespräche. Er stand auf und ging, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, im Saal auf und ab. „Wir wissen alle, dass wir die Aufführung absagen müssen, wenn Jennifer die Mary nicht spielt. Die meisten von uns kennen Jennifer seit Jahren und wissen, dass die Dame gebeten sein möchte. Nun“, er zuckte resigniert mit den Schultern und seufzte, „dann werde ich eben den Gang nach Canossa antreten und sie inständig bitten, die Rolle wieder zu übernehmen.“
    „Na dann, viel Spaß“, höhnte der junge Mann, der Jennifer zur Seite gesprungen war. „Aber Blumen oder Pralinen brauchste Jennifer erst gar nicht mitzubringen. Sie steht nicht auf Riechbesen oder Süßes, das ist schlecht für die Figur unserer Diva.“
    Eric bedachte den Sprecher mit einem scharfen Blick.
    „Danke, Michael, für deine nützlichen Hinweise.“ Spott schwang in seiner Stimme. Er trat hinter seinen Stuhl und legte die Hände auf die Lehne. „Ich glaube nicht, dass heute eine Probe Sinn macht, darum verschieben wir sie, bis geklärt ist, ob wir überhaupt auftreten können. Wir sehen uns dann nächsten Freitag wieder … hoffentlich …“
    Stühle rückten, Füße scharrten über den Holzboden, und die Schauspieler diskutierten eifrig weiter, während sie den Saal verließen. Mabel stand unschlüssig am Rand. Nach Erics Anweisung hatte sie vorhin Tee aufgebrüht, doch niemand schien an einer Tasse interessiert zu sein. Bevor das Mädchenmit den mausbraunen Haaren den Saal verlassen konnte, sprach Eric sie an.
    „Rachel, bist du bitte so lieb und zeigst Mabel die Kostüme? Auch wenn wir nicht wissen, ob wir sie überhaupt brauchen werden, es kann nicht schaden, wenn Mabel so schnell wie möglich mit Änderungen beginnt.“
    Mabel sah, wie über Rachels Wangen eine leichte Röte flog, und sie zögerte. Als sie sprach, war ihre Stimme leise und kaum zu verstehen.
    „Ich muss nach Hause.“
    Eric unterbrach sie mit einer Handbewegung.
    „Die Probe war bis sieben Uhr angesetzt, jetzt ist es gerade mal sechs. Du hast also noch eine Stunde Zeit. Bitte, Rachel, niemand kennt sich mit den Kleidern so gut aus wie du.“
    Die Röte auf Rachels Gesicht verstärkte sich, offenbar fühlte sie sich geschmeichelt, von Eric gelobt zu werden. Mabel vermutete, dass das Mädchen wohl nicht oft Lob und Anerkennung erhielt.
    Eric legte eine Hand auf Rachels Schulter und führte sie durch den Saal.
    „Mabel, das ist Rachel Wilmington, sie hat bisher die ganze Näharbeit allein gemacht. Es ist aber zu viel für sie geworden, nicht wahr, Rachel?“ Bestätigend nickte das Mädchen, sah Mabel jedoch nicht an, sondern starrte auf einen imaginären Punkt an der Wand irgendwo

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