Die Tote Von Higher Barton: Ein Cornwall-Krimi
lateinischer Name Mabel sich noch nie hatte merken können. Ein nasser und glitschiger Plattenweg schlängelte sich durch diesen Teil des Parks, und man wusste nie, welche Blütenpracht einen hinter der nächsten Biegung erwartete. Mabel war ganz allein und sie fühlte sich beinahe wie in einem Dschungel. Plötzlich öffnete sich die üppige Vegetation und Mabel stand am Ufer eines kleinen Sees.
„Wie schön!“, rief sie und versuchte sich zu erinnern, ob sie vor vierzig Jahren schon einmal hier gewesen war, denn der See war ihr völlig unbekannt. Mächtige Eichen, Buchen und Trauerweiden, deren Äste bis auf die Wasseroberfläche hingen,säumten das schlammige Ufer. Es gab keinen Steg oder sonstigen Zugang zu dem See, auf dem Seerosen schwammen, die ihre Blüten aufgrund der fehlenden Sonne geschlossen hatten. Ganz in Mabels Nähe schrie ein Vogel. Sie zuckte erschrocken zusammen und sah sich um. Normalerweise war sie nicht so ängstlich, diesem Ort schien jedoch etwas Geheimnisvolles, fast schon Mystisches anzuhaften. Und plötzlich, als hätte jemand den Vorhang geöffnet, der Mabels Blick verschleiert hatte, ergriff sie eine schreckliche Erkenntnis: Wenn man den direkten Weg wählte, war der See keine zehn Minuten Fußweg vom Herrenhaus entfernt. Hierher kam sicher nicht oft jemand, die Umgebung machte nämlich nicht den Eindruck, als würde sie regelmäßig gepflegt.
„Ein idealer Platz, um eine Leiche zu versenken“, murmelte Mabel und erschrak, wie laut die Worte in ihren Ohren klangen. Wie gelähmt starrte sie auf die dunkle Wasseroberfläche, auf der stetig Regentropfen auftrafen und kleine Kreise bildeten. Nach einiger Zeit, als sie den Blick vom See losreißen konnte, sah sie sich suchend um und fand einen etwa kinderfaustgroßen Stein. Sie holte weit aus und warf den Stein in die Mitte des Sees. Er versank sofort, aber Mabel wusste nicht zu sagen, wie tief das Wasser war. Auf jeden Fall wäre es ein Leichtes gewesen, die tote Sarah hierher zu bringen und gleich – oder auch erst ein paar Stunden später – mit einem Gewicht zu beschweren und im See zu versenken. Niemand würde jemals hier suchen. Die Frage war nur – was sollte sie jetzt machen? Sie konnte zwar schwimmen, traute sich aber nicht zu, in dem See zu tauchen. Mit Wehmut dachte sie an Victor Daniels.
„Wenn ich ihm nur wieder ganz vertrauen könnte“, sagte sie leise und wusste, dass sie mit ihrer Erkenntnis erst garnicht zur Polizei gehen brauchte. Der Chefinspektor würde ihr kein Wort glauben und ganz sicher keinen Tauchtrupp nach Higher Barton schicken, um den See absuchen zu lassen. Abigails Reaktion konnte Mabel sich lebhaft vorstellen – dann konnte sie gleich wieder ihre Koffer packen und Higher Barton verlassen.
Dennoch war sich Mabel so gut wie sicher, den Platz, an dem die unglückliche Sarah Miller ihre letzte Ruhestätte gefunden hatte, entdeckt zu haben. Jetzt galt es nur noch herauszufinden, wie sie die Leiche aus dem See bergen konnte.
„Ich muss Sie sprechen.“ Victor Daniels Stimme klang eindringlich. „Sofort!“
Mabel hatte ihm ihre Handynummer gegeben, war aber bass erstaunt, als er am folgenden Nachmittag anrief und sie um ein sofortiges Treffen bat. Als das Telefon klingelte, war Mabel zusammengezuckt und hatte sich erschrocken umgesehen, was das für eine Melodie war, die plötzlich in ihrem Zimmer erklang. Victor war nämlich ihr erster Anrufer, und Mabel hatte sich um den Klingelton nicht gekümmert, den der Verkäufer eingestellt hatte. Nun ja, wenn sie ehrlich war, sie hatte keine Ahnung, wie das überhaupt ging. So ertönte jetzt also eine klassische Melodie – Mabel ordnete sie Mozart zu –, und sie brauchte einen Moment, bis sie die richtige Taste gefunden hatte, um das Gespräch entgegenzunehmen.
„Heute geht es nicht.“ Mabel flüsterte, obwohl sie allein war. „Abigail und ich sind zum Tee bei Sir Cavendish eingeladen, wir müssen gleich los.“
„Das kann warten“, sagte Victor bestimmend. „Mabel, es ist wirklich sehr wichtig! Wir treffen uns … sagen wir in einer halben Stunde am Hafen von Polperro.“
„Warum so geheimnisvoll? Ich kann doch auch zu Ihnen kommen.“
„Ich möchte nicht, dass uns jemand zusammen sieht“, antwortete Victor. „In Polperro fallen wir nicht auf.“
In Victors Stimme lag ein Unterton, der Mabel sagte, dass die Angelegenheit, in der er sie sprechen wollte, offenbar wirklich dringlich war. Sie gab sich einen Ruck.
„Nun gut, ich werde mir eine
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