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Die Toten der Villa Triste

Die Toten der Villa Triste

Titel: Die Toten der Villa Triste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucretia Grindle
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dich gerade«, flüsterte ich. »Halt dich gerade und bleib dicht neben mir.«
    Als wir ins Freie traten, regnete es leicht, zwar nicht so stark, dass wir davon sauber geworden wären, aber doch so stark, dass wir zu frieren begannen. Sie ließen uns über die Ponte Nuovo marschieren und dann durch die Via Stella in Richtung Forum. Trotz des Nieselregens drängten sich auf beiden Straßenseiten die Schaulustigen auf dem Bürgersteig. Sie sahen uns schweigend zu und waren so still, dass man eigentlich nur das Getrappel unserer Füße hörte. Ich weiß nicht, ob man ihnen befohlen hatte, dort zu stehen, oder ob wir ihnen als Unterhaltung dienten wie ein Zirkus oder Zootiere. Vielleicht waren sie auch irgendwie erleichtert, uns zu sehen. Oder vielleicht sogar dankbar, weil es uns und nicht sie getroffen hatte. Wie eine Herde von Sündenböcken marschierten wir an ihren ausdruckslosen Mienen vorbei.
    Dann, als wir in die Nähe des Forums kamen, kam Unruhe auf. Weiter vorn gab es eine Störung. Die Straße verengt sich an dieser Stelle, und Issa und ich marschierten weiter hinten, sodass wir nichts erkennen konnten, aber ich hörte Rufe, während unsere kleine Parade immer langsamer wurde und schließlich zum Stillstand kam. Das machte die Wachen nervös. Alles, was nicht wie geplant abläuft, macht sie nervös. Ein Offizier begann Befehle zu bellen, und einer der Soldaten lief nach vorn. In diesem Moment hörte ich einen Laut – jenes leise Maunzen, mit dem die Männer manchmal auf der Straße den Frauen nachzischen –, sah zur Seite und entdeckte sie.
    In der Menge, direkt am Rand des Bürgersteigs, standen zwei Männer. Einer wirkte in seiner Monteurkleidung eher schmuddelig, der andere trug einen Anzug. Sie winkten uns zu sich. Die Geste war kaum zu sehen, nur eine winzige Handbewegung, aber ich bemerkte sie.
    Ich weiß nicht mehr, welche Nachricht mein Hirn daraus las. Ich kann mich nicht erinnern, dass eine Stimme in meinem Kopf rief: »Lauf!«
    Aber genau das tat ich.
    Ich packte Issa mit beiden Händen, beim Ellbogen und am Armgelenk. Ich schleifte sie hinter mir her.
    Ich überlegte keine Sekunde. Es waren nur vier, fünf, sechs Schritte. Und die ganze Zeit über wartete ich auf den entscheidenden Moment – auf das Knallen und das schwarze Loch. Aber nichts geschah. Stattdessen sah ich Schuhe, Beine, Arme. Als wir den Bürgersteig erreichten, machten die beiden eine kleine Lücke frei, gleich darauf umringten uns die Menschen am Straßenrand, sie schoben uns nach unten und hinten – wie Päckchen, die von Hand zu Hand durch die Menge gereicht wurden.
    Als wir wieder aufrecht standen, hatte man uns Mäntel übergeworfen. Die Dreiecke waren abgerissen worden – ich sah einen winzigen roten Fetzen unter meinem Schuh, dann bückte sich jemand und hob ihn auf.
    All das geschah rasend schnell und vollkommen lautlos. Lirescheine wurden in meine Tasche gestopft. Ein Hut wurde mir auf den Kopf gedrückt. Ich hielt immer noch Issas Hand umklammert, als mich jemand von hinten anschubste und zischte: »Los!«

22. Kapitel
    Pallioti saß am Schreibtisch, vor sich die Ergebnisse der Recherchen, die er am Tag zuvor angestoßen hatte. Als perfekter Sekretär hatte Guillermo das Material bereits sortiert und es in einem korrekt beschrifteten Ordner abgelegt. Pallioti schlug ihn auf und blätterte die Seiten noch einmal durch. Er trommelte mit den Fingern. Dann stand er auf und trat ans Fenster. Es war kurz nach Mittag. Die Körbe der Blumenhändlerinnen zeichneten sich als bunte Farbflecken gegen das Grau der Piazza ab. Im Restaurant jenseits des Brunnens konnte er Menschen essen sehen.
    Er dachte an die beiden alten Männer, die jetzt tot waren. Vor zwei Wochen hatte Giovanni Trantemento jemandem die Wohnungstür geöffnet, der offenbar problemlos in das Gebäude gelangt war. Ein paar Tage darauf hatte Roberto Roblino das Gleiche getan – er hatte die Tür geöffnet und jemanden in sein Haus gelassen. Jemanden, den er mit ziemlicher Sicherheit gekannt hatte. Jemanden, der ihm so wenig bedrohlich vorgekommen war, dass er ihn in sein Haus gelassen oder möglicherweise sogar ausdrücklich hereingebeten hatte.
    Pallioti kehrte an den Schreibtisch zurück, klappte den Ordner zu und klemmte ihn unter den Arm.
    Guillermo warf nur einen einzigen Blick auf das Gesicht seines Chefs und hielt den Kopf gesenkt, bis er das Vorzimmer wieder verlassen hatte. Der Wachmann am Eingang zur Cafeteria wollte etwas sagen – guten Nachmittag

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