Die Toten der Villa Triste
Hephaistos geheiratet.
»Gestern«, sagte sie, obwohl ich nicht gefragt hatte. »Als ich vor der Bibliothek saß. Er meinte, ich sollte ihn heiraten, weil es bald noch viel schlimmer kommen wird. Und weil er mich liebt«, ergänzte sie im Nachhinein.
»Was hast du geantwortet?«
Issa fummelte am Rand eines Aquarells herum.
»Dass ich ihn nicht liebe. Ganz gleich, wie schlimm es kommt. Dass ich ihn nie lieben werde.«
Damit war alles gesagt, klipp und klar. Kalt wie ein Stein.
Ich sah sie aus dem Augenwinkel an. Isabella hatte schon viele Verehrer gehabt, aber soweit ich wusste, hatte es bisher keiner wirklich ernst gemeint. Sie war schön, kein Zweifel, genau wie unsere Mutter, und ihre Züge waren perfekt wie die einer Statue. Aber unter diesem perfekten Fleisch lag etwas Hartes. Issa lachte gern, sie spielte und tanzte gern, aber ich hatte sie niemals weich werden sehen. Nicht einmal eine Sekunde. Sie hatte ein Herz, das wusste ich. Aber sie ließ niemanden hinein.
»War er wütend?«
Sie sann kurz über meine Frage nach. Dann schüttelte sie den Kopf.
»Ich glaube nicht«, sagte sie. »Ehrlich gesagt vermute ich, dass er mir nicht geglaubt hat.«
»Dass er dir was nicht geglaubt hat?«
»Dass ich ihn nicht liebe. Ich glaube, er meint, ich hätte mir das nur ausgedacht.« Issa hob die Hände. »Es ist egal«, ergänzte sie. »Inzwischen ist er sowieso abgereist.«
»Abgereist?«
Zurück nach Siena, um sich auf dem Bauernhof seiner Eltern zu verstecken? In die Berge, so wie Emmelina, falls sie wirklich gefahren war? In die Schweiz? Wohin reisten die Menschen in diesen Zeiten?
»Wohin abgereist?«, fragte ich.
Isabella sah mich an, als würde sie etwas abwägen. Dann sagte sie: »Um sich den Partisanen anzuschließen.«
In meinen Eingeweiden zog sich etwas zusammen. Wenn ich aufschaute, würde ich von meinem Stuhl aus die Berge sehen. Ich schüttelte den Kopf, um das beklemmende Gefühl zu vertreiben, und konzentrierte mich wieder auf mein Bild.
»Meinst du«, fragte ich so beiläufig wie möglich, »die CLN – das Befreiungskomitee, oder wie das heißt?«
»Nein.« Sie schüttelte den Kopf. Dann ergänzte sie: »Also ja, schon, aber andererseits auch wieder nicht.« Issa sah auf ihre Hände und musterte die perlmuttfarbenen Halbmonde ihrer Nägel. »Außerdem heißt es bei uns CTLN«, sagte sie. »Das toskanische Komitee. Aber ich meine die GAP.«
Ich legte den Pinsel ab und sah sie an. »Issa«, sagte ich, »wovon redest du?«
»Von den GAP«, antwortete sie. »Den Gruppi di Azione Patriottica. Die CLN wird alles dirigieren und koordinieren. Aber die GAP-Einheiten handeln. Sie erledigen die Arbeit auf dem Feld.«
Ich wollte lieber nicht fragen, worin genau »die Arbeit auf dem Feld« bestand, und offenbar sah sie mir das an.
Issa verdrehte die Augen. »Mein Gott, Cati«, sagte sie.
Aus ihren Worten strahlte eine falsche, herablassende Fröhlichkeit.
»Dir ist das vielleicht nicht klar«, fuhr sie ziemlich aufgeblasen fort, »aber wir müssen uns organisieren.«
»Organisieren?«
»Ja.« Sie nickte und wirkte plötzlich lebhafter. »An der Universität. Wir alle. Genau das tun wir gerade. Wir organisieren uns. Für den Kampf.«
»Den Kampf?« Das Wort wurde mir von Minute zu Minute verhasster. Alles daran.
Falls Issa den Spott in meiner Reaktion hörte, ging sie darüber hinweg. Stattdessen verkündete sie mit einer Begeisterung, die sie wohl für ansteckend hielt: »Gegen die Deutschen. Die Nazis natürlich«, ergänzte sie, als müsste das eigens klargestellt werden. »Aber auch gegen die Fascistoni. Wir werden gegen beide kämpfen müssen.«
»Wir?«
Sie nickte viel zu eifrig. »Richtig. Genau damit sind die Partisanen beschäftigt. Sie bilden Einheiten, Brigaden, in den Bergen.«
»Glaubst du nicht«, sagte ich, »dass es klüger wäre, diesen ›Kampf‹ den Alliierten zu überlassen?«
Ich sah meine Schwester an. Sie war gerade erst neunzehn. Eigentlich noch ein Kind. »Für wen hältst du dich, Issa?«, fragte ich. »Welche Rolle willst du dabei spielen? Die Nemesis? Ich will dich nicht entmutigen«, ergänzte ich giftig, »aber möglicherweise versteht General Eisenhower mehr vom Kriegführen als du.«
Selbst wenn ich nicht schon wütend auf sie gewesen wäre, hätte mich diese Weigerung, erwachsen zu werden, diese Bereitschaft, alles als neues Spiel oder neues Abenteuer mit ihrer Bergsteigergruppe zu sehen, rasend gemacht. Bei Enrico lag der Fall anders. Er und Carlo waren
Weitere Kostenlose Bücher