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Die Toten der Villa Triste

Die Toten der Villa Triste

Titel: Die Toten der Villa Triste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucretia Grindle
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Rückflug hatte er sich eine Zeitung geben lassen.
    »Was steht darin?«
    Sie zuckte mit den Achseln. »Dass dieser – wie heißt er noch …? Trantimenni?«
    »Trantemento.«
    »Trantemento. Dass er ein Held des Widerstands gewesen sei, ein harmloser alter Mann, der am helllichten Vormittag in seiner eigenen Wohnung erschossen wurde, wahrscheinlich bei einem Einbruchsversuch, oder …« Sie sah ihn an. »Wahrscheinlich nicht, denn sonst wärst du nicht am Tatort gewesen. Ach ja«, ergänzte sie, bevor sie eine Parmesanlocke in ihrem Mund verschwinden ließ und sich mit der Zunge über die Lippen fuhr, »und in einer Zeitung stand etwas von Neonazis.«
    »Neonazis?«
    »Die greise Partisanen überfallen. Das Dritte Reich wird niemals untergehen.«
    Pallioti legte Messer und Gabel ab.
    »Tun sie das wirklich?«, fragte er. »Alte Partisanen überfallen?«
    Er musste zugeben, dass er diesen Ansatzpunkt völlig vernachlässigt hatte. Es klang allzu abwegig. Aber andererseits passten die Worte »Neonazi« und »logisch« kaum in einen Satz.
    »Das weiß ich doch nicht!« Saffy lachte. »Du bist schließlich der Polizist. Sag du es mir. Es klingt verrückt.«
    Pallioti seufzte. »Welche Zeitung war das?«, fragte er.
    Sie sagte es ihm.
    Er nahm sich vor, den Redakteur oder Reporter oder wen auch immer anzurufen und nachzuforschen, ob der nur heiße Luft verbreitete oder ob unglückseligerweise mehr dahintersteckte.
    »Eigentlich«, meinte sie gleich darauf, »hat Maria das auch erwähnt.«
    »Maria?«
    Es gab unzählige Marias in Florenz, aber die eine, von der Saffy jetzt redete, konnte Pallioti auf den Tod nicht ausstehen. Sie war der verzogene Abkömmling einer reichen Bankiersfamilie und zählte zu den ganz wenigen Freunden von Saffy, die er weder mochte noch guthieß. Was für Maria umso schlimmer war, als sie laut Saffy einst bis über beide Ohren in deren älteren Bruder verschossen gewesen war. Inzwischen schien Maria das überwunden zu haben, aber sicher konnte man da nie sein. Seine Schwester sah ihn an und lachte.
    »Ihre Cousins«, sagte sie, »hatten nach dem Krieg eine Art Stiftung gegründet, um den Partisanen zu helfen. Maria hat mir nur erklärt, wie schrecklich sie das findet. Dass dieser arme alte Kerl umgebracht wurde.« Saffy zwinkerte. »Aber dass du den Fall bearbeitest, scheint sie beruhigt zu haben.«
    Pallioti verkniff sich ein lautes Stöhnen.
    »Sie sind für die Gedenktafeln verantwortlich, die man inzwischen überall sieht«, sagte Saffy. »Ihre Familie. Die gehen auf ihre Initiative zurück.«
    Pallioti hatte keine Ahnung, dass die Grandolos hinter den Gedenktafeln steckten, aber es überraschte ihn nicht. Die Familie der Grandolos hatte im Lauf mehrerer Jahrhunderte viel für die Stadt getan. Meist äußerst diskret. Die Familienmitglieder schotteten sich so ab, dass man es schon als neurotisch bezeichnen konnte – alle außer Maria, bedauerlicherweise. Auch wenn sein Bild praktisch nie in der Zeitung abgedruckt worden war und sein Name nicht an irgendwelchen Gebäuden prangte, so war Cosimo Grandolo, der kürzlich verstorbene Bankier, dennoch ein bemerkenswerter Philanthrop gewesen. Kliniken, Krankenhausflügel und Bildungsprogramme waren stillschweigend von ihm finanziert worden. Darum überraschte es Pallioti nicht, dass die Grandolos auch jenen helfend die Hand gereicht hatten, die so große Opfer für ihre Stadt und ihr Land gebracht hatten. Es bestätigte nur seine Vermutung, dass Maria, die er bestenfalls für unterbelichtet hielt, ein genetischer Atavismus war – ein Ausgleich, um sicherzustellen, dass sich die Menschheit nicht allzu schnell entwickelte.
    »So schlimm ist sie wirklich nicht.« Saffy lachte wieder. »Man kann wirklich viel Spaß mit Maria haben. Und sie hat ein gutes Herz.«
    Pallioti beschloss, dass es klüger war, den Mund zu halten, und griff stumm lächelnd nach seinem Weinglas.
    Bernardo kam mit dem nächsten Gang. In Salbei sautierte Hühnerleber. Pallioti und Seraphina aßen schweigend und wechselten dabei methodisch zwischen den Hühnerlebern und der Schüssel mit winzigen, goldenen Bratkartoffeln ab, die es dazu gab. Der Salbei erinnerte Pallioti an die Winter seiner Kindheit. Sobald er den rauchigen, weichen Geschmack auf der Zunge spürte, sah er wieder die bleichen, graugrünen und mit Frost überzogenen Blätter vor sich, die aus den Blumentöpfen beiderseits des Kiesweges im Garten des Hauses quollen, in dem seine Eltern gelebt hatten und wo seine

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