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Die Toten der Villa Triste

Die Toten der Villa Triste

Titel: Die Toten der Villa Triste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucretia Grindle
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oder gebissen. Dann sah ich Issas roten Lippenstift in ihrer Hand. Das Mädchen lächelte mich an, mit knallrotem, verschmiertem und riesigem Clownsmund.
    Ich war so erschrocken über diesen Anblick, dass ich ins Zimmer schoss und sie packte. Als ich sie von der Bank zerrte, stieß sie dabei mit dem Arm eine Flasche von Issas Parfüm um und schleuderte sie zu Boden. Jetzt riecht der Teppich nach Jasmin. Der Duft kriecht unter der Tür hindurch in den Flur und durchdringt die Luft, als stände Isabella in ihrem Zimmer.
    Das Mädchen begann zu weinen, und ich entschuldigte mich bei ihr. Ich brachte sie nach unten in die Küche und machte ihr süße Milch mit besonders viel Zucker. Ich schenkte ihr sogar einen Keks. Aber sie sah mich trotzdem mit weit aufgerissenen Augen an, als hätte sie Angst, ich könnte sie jeden Augenblick auffressen. Als ich so in der Küche saß und das verängstigte kleine Mädchen vor mir sah, sehnte ich mich nach Emmelina. Gestern auf dem Weg zur Arbeit bin ich an ihrem Haus vorbeigeradelt. Doch alle Fensterläden waren geschlossen. Vermutlich sind sie tatsächlich nach Monte Sole gezogen.
    Die arme Emmelina. Und die armen Banduccis. Das zeigt, wie nervös wir alle geworden sind – wie Wiesel in einem zu engen Käfig. Ich weiß, dass ich ungerecht bin. Wir sind alle erschöpft und müde und fürchten uns. Heute Morgen fragte mich das Mädchen, das sich von seinem Schreck erholt zu haben scheint, über das Krankenhaus und meine Arbeit aus. Bestimmt war sie nur neugierig. Sie ist nur ein Kind. Trotzdem blieb ich auf dem Weg zu meiner Schicht dreimal unterwegs stehen. Ich sah in Schaufenster. Nahm Umwege. Ging in die Kirche San Felice, setzte mich in eine Bank, wartete eine Weile und ging dann wieder hinaus. Ich spürte, wie meine Füße immer kälter wurden. Und meine Hände. Aber ich konnte keine Gesichter entdecken, die mir vertraut waren. Niemanden, der mir bekannt vorgekommen wäre.
    Danach beschloss ich, im Krankenhaus zu bleiben. Ich ließ mir in meiner winzigen Bürokammer eine Pritsche aufstellen und erklärte der Oberschwester, dass ich gern dort schlafen würde, falls ich gebraucht werden sollte. Und ich werde gebraucht, denn wir werden immer weniger. Zwei Schwestern sind in den vergangenen zehn Tagen schon verschwunden. Ich weiß nicht, ob sie verhaftet wurden, aber das ist durchaus möglich. Wir hören aus Rom, dass die jüdischen Viertel geräumt und die Bewohner zu Hunderten in Züge verfrachtet wurden, und auch hier werden ständig Menschen verhaftet – ohne erkennbaren Grund. Gestern sah ich, wie die Banda Carita ein Pärchen aus einem Café zerrte und in einen Lieferwagen stieß. Und alle sehen weg. Niemand wagt, einen Ton zu sagen. Die Verhafteten werden in das Haus an der Via Bolognese gebracht, das alle nur die Villa Triste nennen. Manchmal warten Angehörige davor. Sie stehen dort, weinen und schluchzen, bis sie vertrieben werden. Wir wissen, dass drinnen gefoltert wird. Und wir hören noch Schlimmeres …

7. Kapitel
    Pallioti seufzte. Eben hatte er, bei einem Espresso und ziemlich ausführlich, Enzo die nicht allzu produktiven Ergebnisse seines Besuchs in Rom geschildert. Natürlich hatten sie sich darauf geeinigt, dass die Familie genauer in Augenschein genommen werden sollte. Man würde die Alibis abklopfen, um festzustellen, ob sie hohl klangen. Aber keiner von beiden glaubte ernsthaft, dass Maria oder Antonio Valacci heimlich nach Florenz gefahren waren und dort persönlich zur Waffe gegriffen hatten oder dass sie jemanden dafür bezahlt hatten. Natürlich war das möglich. Alles war möglich. Aber ohne dass es einer von beiden ausgesprochen hätte, hatten beide den nagenden Verdacht, dass diese Lösung zu simpel wäre. Sozusagen nicht zum Fall passen würde. Denn bislang war rein gar nichts simpel an Giovanni Trantementos Tod.
    Enzo sah ihn an. Sie hatten die lichte, neue Cafeteria des Präsidiums gemieden und sich stattdessen in ein dunkles Loch von einer Bar verzogen, die ein paar Straßen weiter lag – einerseits, weil sie dort ungestört waren, andererseits, weil sie es wie kleine Jungen genossen, sich so oft wie möglich zu verdrücken. Pallioti, der beim Reden ungeduldig mit den Fingern auf den Tisch getrommelt hatte, zwang sich stillzuhalten.
    Enzos Bericht war kaum ermutigender gewesen als seiner. Die Stricher-Theorie hatte mehr oder weniger in eine Sackgasse geführt, nachdem das ermittelnde Team alle Spuren so weit wie möglich verfolgt hatte, ohne dass

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