Die Toten des Meisters - Konrads erster Fall
und flüchtet. Das klang überzeugend, z u überzeugend. Und wenn die Stadtväter keinen Ä rger mit ihrem Kurfürsten und dem Erzbischof haben wollten, brauchten sie einen Täter – den sie ihrer Ansicht nach schon hatten: Gregor. W enn der Richter das auch so sah, würde Johannas Bruder am Galgen enden.
„So hat Pastor Heinrich endlich einen gefunden, der das Ungarn-Kreuz repariert.“ Meister Münder wischte sich die Hände an seiner Schürze ab, nahm dann einen Hobel von der Werkbank und begann die Kanten eines langen Holzbrettes zu glätten. Münder war Zunftmeister und hatte mir das Holz für mein Regal verkauft. Ich mochte ihn, deshalb war ich nach Johannas Besuch zu ihm in die Werkstatt gegangen, um Werkzeug und Holz zu besorgen.
Münder schaute hoch, fuhr mit der Hand prüfend über die Holzkante. „Passt auf, Konrad, ich mag Euch. Und unsere Zunft steht in Pastor Heinrichs Schuld, weil er sich für uns eingesetzt hat, als es Ärger mit dem Stadtrat gab. Er hätte ein neues Kreuz nicht bezahlen können, und alle Mitglieder unserer Zunft haben ordentlich zu tun. Wer weiß, ob unser Herr Jesus so lange noch am Kreuz geblieben wäre. Das Ding ist schwer morsch. Wenn Ihr Euch also als Herrgottsschnitzer versuchen wollt, soll es uns recht sein.“
Münder kramte in einem Schrank und suchte nach einem Bohrer. „ Was aber kann ich jetzt für Euch tun?“, fragte er mich.
„Ich will ehrlich sein, Meister Münder, ich habe keine Ahnung, wie ich das Ganze zustande bringen soll. Aber eines weiß ich: Ohne vernünftiges Werkzeug und das richtige Holz komme ich nicht weiter.“
„Holz ist kein Problem, das könnt Ihr bei mir bekommen, und – weil es für unseren Dom ist – werde ich es spenden. Aber Werkzeug?“ Meister Münder schüttelte bedauernd den Kopf. „Wer kann schon sein Werkzeug entbehren? Was braucht ihr denn?“
Ich überlegte einen kurzen Moment und ging die möglichen Arbeitsschritte durch. „Also, ich benötig e nicht viel, einiges hab ich ja auch schon. Neue Schnitzmesser und Stechbeitel wären nicht schlecht“, antwortete ich. „Dann ist es leicht . Passt auf – Ihr geht zum Paul Müntgen in die Eisengasse. Der hat di e besten Stechbeitel und Messer. Bestellt ihm einen schönen Gruß von mir. Erklärt ihm ruhig auch noch einmal, dass er Ärger mit unserem Pastor bekommt, wenn er meint, er müsse Euch beim Preis übers Ohr hauen. Bei ihm werdet Ihr sicher alles bekommen, was Ihr braucht.“
„Ich danke Euch für die Hilfe.“ Ich hielt Meister Münder die Hand hin und er schlug grinsend ein. „Wer legt sich schon gern mit unserem Pastor an, wenn der eine Idee hat. Ich beneide Euch nicht. Kommt doch heute Nachmittag noch einmal vorbei. Ich such nach dem Mittagessen ein paar passende Balken aus.“
Ich bedankte mich noch einmal bei ihm und machte mich auf den Weg in die Eisengasse. Der Anfang war gemacht: wie der Bauer die Klöße isst – nacheinander.
Paul Müntgen war das genaue Gegenteil von Meister Münder. Misstrauisc h und verschlossen, fast feindselig betrachtete er mich mit einem zusammengekniffenen Gesicht, als hätte er gerade sauren Wein getrunken. Zwar hatt e er die Eingangstür geöffnet, nachdem ic h ihm erklärt hatte, dass ich auf Empfehlung Münders zu ihm gekommen sei. Doch er blieb immer noch grob unhöflich. Eine gemurmelte Bemerkung, die mehr wie ein Grunzen klang, und er ließ mich im Innenhof stehen. Er selbe r verschwand durch eine Holztür. Mit jeder Minute, die ich hier im Hof stand, wuchs mein Ärger, aber ich brauchte nun einmal das Werkzeug. Wenn Müntgen die beste Quelle dafür war, blieb mir wohl nichts anderes übrig, als zu warten. Gerade i n dem Moment, als ich für mich beschlossen hatte, jetzt sei es auch genug und Müntgen könne sich seine Stechbeitel sonst wohin schieben, hörte ic h das Schaben eines Riegels. Ein Doppeltor auf der anderen Seite des Hofes öffnete sich . Müntgen winkte mir ungeduldig zu, fast so, als hätte er die ganze Zeit auf mich warten müssen.
Als ich eintrat, konnte ich im Halbdunkel zunächst wenig erkennen, bis Müntgen mit einer Stange die schweren Holzläden eines großen Fensters oberhalb des Doppeltores öffnete. Was ich sah, überraschte mich: Auf der rechten Seite des Raumes waren die Wände dicht mit den verschiedensten Werkzeugen behängt. Schwere Truhen und Schränke ringsherum enthielten wahrscheinlich weiteres Werkzeug. Doch es war nicht die schiere Fülle der Werkzeuge, die mich überwältigte, sondern
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