Die Toten des Meisters - Konrads erster Fall
die Ware auf der linken Seite des Raumes. Hier hingen alle erdenklichen Arten von Waffen. Messer, Schmuckdolche, Kurzschwerter, Anderthalbhänder, Doppelhänder, Axtköpfe und Streithämmer. Ein paar Schritte vor mir waren eine Reihe von Schwertern und Messern in einem kunstvoll geschnitzten Holzständer ausgestellt. Ohne auf Müntgen zu achten, trat ich zu den Waffen. Wer diese Klingen geschmiedet hatte, war ein Meister seiner Zunft. Bei den Griffen dagegen hatte man auf jeglichen modischen Zierrat verzichtet. Das aber störte mich nicht – im Gegenteil.
„Jetzt wisst Ihr, warum ich nicht jeden sofort in meine Ausstellung lasse“, hörte ich Paul Müntgen hinter mir sagen. „Ich kenne Euch nicht, aber mein Lehrjunge hat mir von Meister Münder ausrichten lassen, dass Ihr anständig seid.“ Ich drehte mich zu ihm um: „Ihr habt Euren Lehrjungen zu Meister Münder geschickt?“
Müntgen nickte: „Ist ja nicht weit bis zu seiner Werkstatt, und der Lümmel hat schnelle Beine. Es tut mir leid, dass Ihr warten musstet. Der Stadtrat macht strenge Auflagen, was den Verkauf von Waffen betrifft. Ich bin da vorsichtig geworden.“
„Nun, Waffen möchte ich eigentlich nicht kaufen.“ Ich strich behutsam über die rasiermesserscharfe Klinge eines Dolches. „Ich benötige Schnitzmesser und Stechbeitel, um einen Auftrag von Pastor Heinrich zu erfüllen.“
Heinrichs Name war wie das „Sesam, öffne Dich“ in dem Märchen aus dem Morgenland. Paul Müntgens Misstrauen war wie weggeblasen. Er rieb sich zufrieden die Hände: „So, ein Auftrag für Pastor Heinrich, und Schnitzmesser sollen es sein. Dann seid Ihr der arme Narr, der unser Ungarn-Kreuz ausbessern soll?“ Anscheinend hatte sich Heinrichs Idee innerhalb des letzten Tages in der ganzen Gemeinde herumgesprochen. Na großartig, vom unbekannten Gemeindemitglied zum belächelten Schnitzer in nur einem Tag, keine schlechte Leistung.
Müntgen trat neben mich: „Also ein Stechbeitel ist das nicht, was Ihr da streichelt. Das ist ein Wurfdolch meines Sohnes, eines seiner Meisterstücke. Als Schmied in Mayen hat er einen guten Ruf. Nichts für Euch, wenn Ihr ein Kreuz schnitzen wollt. Aber nehmt ihn ruhig einmal in die Hand, Ihr habt sicher noch nie eine solch kostbare Waffe getragen.“
Ich nahm den Dolch vorsichtig aus dem Ständer. Müntgen hatte recht, es wa r ein wunderbares Stück mit einem Griff, der perfekt in meiner Hand lag . Müntgen schaute mich von der Seite an. „W as meint Ihr, wollt Ihr es wagen, mit dem Dolch zu werfen? Schaut, dort drüben haben wir einen Wurfstand. Tretet näher und versucht es einmal! Sagen wir, Ihr trefft die Zielscheibe aus sechs Schritten, so mache ich Euch einen Vorzugspreis für das Werkzeug.“ Müntgens Auge n hatten einen listigen Ausdruck bekommen. Ich schaute ihm über die Schulter. Etwas weiter hinte n im Raum war eine Holzbrüstung aufgebaut. Sechs Schritte dahinter an der Wand war ein Holzbrett befestigt , das einen Soldaten mit Schild und Schwert zeigte . Auf den Schild war die Zielscheibe aufgemalt. Ihr Mittelpunkt war ein goldener Kreis von vielleicht zwei Gulden Größe.
Ich schätzte die Entfernung bi s zum Wurfstand mit rund sechs, sieben Schritten, dazu noch die sechs Schritte im Wurfstand selbst – zwölf, dreizehn Schritte insgesamt. Ich wog noch einmal den Dolch in der Hand, drehte mich kurz zur Seite und fasste das Ziel ins Auge. Müntgen schaute mich erwartungsvoll an und wartete wohl darauf, dass ich herüber gehen würde. Ich wandte mich ihm wieder zu und nickte kurz, holte aus und warf, während ich ihm ins Gesicht blickte, mi t einem kräftigen Schwung das Messer. Müntgens Gesicht wurd e starr, der gerade noch listige Gesichtsausdruck war wie weggewischt. Ich blickte wieder zur Zielscheibe. Das Messer steckte im goldenen Kreis. Müntgen hatte ebenfalls zum Wurfstand geschaut, den Mund imme r noch vor Erstaunen geöffnet. In diesem Momen t tat er mit fast leid. Ich klopfte ihm auf die Schulter und lächelte ihm zu: „Wisst Ihr, Meister Müntgen, ic h bin vielleicht ein armer Narr, aber ganz sicher ein Narr, der Euer W erkzeug zu einem verdammt guten Preis bekommen wird.“
Paul Müntgen antwortete mir nicht. Sein Blick hing immer noch an dem Messer in der Zielscheibe. Dann aber nickte er stumm mit dem Kopf.
Ich hatte wohl gerade einen weiteren Kloß geschafft.
Es war bereits Mittag, als ich mit meinen Einkäufen unter dem Arm zum Rathaus ging. Ich hoffte, Jupp hier zu treffen, denn dass nach
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