Die Toten des Meisters - Konrads erster Fall
dafür auch gute Gründe. Nur die Schö ffen wird das alles nicht überzeugen.“ Jupp dachte einen Moment nach: „Der Mörder muss im Hirsch gesessen haben.“
„Und er hat den Streit mitbekommen, Gregor an der Theke den Dolch gestohlen und dann damit Grevenrath erstochen“, ergänzte ich Jupps Überlegungen.
„ Wir Hornochsen! Warum haben wir daran nicht gedacht? Wer weiß, wie viele Gäste seitdem schon im Hirsch waren.“
„Möglicherweise hat er ja sogar im Hirsch geschlafen, ist schließlich eines der ersten Häuser am Platz.“
Jupp schaute sehr skeptisch: „Das hoffst du aber auch nur. An dem Abend waren bestimmt 30, 40 Leute im Hirsch, Andernacher Bürge r, Kaufleute, Fremde, die schon längst wieder aus der Stadt verschwunden sind. Aber schaden kann es natürlich nicht. Gleich morgen werd ich den Hirsch-Wirt Johannes Bischoff aufsuchen.“
Jupp hatte recht. Große Aussichten auf Erfolg gab es nicht. Ich ärgerte mich – warum hatte ich nicht viel früher daran gedacht?
Jupp schaute plötzlich sehr ernst aus: „Ich hab so ein mieses Gefühl im Bauch, wenn ich an die Burgunder und Habsburger denke. Was, wenn dazu noch ein Mörder in der Stadt frei herumläuft?“
„Jetzt hör aber auf, Josef, du verdirbst uns ja noch den ganzen Abend!“ Hildegards Ermahnung brachte Jupp zum Schweigen. Wir wussten es eben nicht besser.
Nicht mal eine Woche später aber schlug der Mörder wieder zu. Grevenrath war erst der Anfang gewesen.
21
Warum ich? Warum ausgerechnet ich? Theis von Gondorf lehnte sich an die schweren Basaltblöcke der Köln-Pforte. Die Steine waren noch kalt von der Nacht und blieben ihm eine Antwort schuldig. Schlimmer noch, Theis wusste selbst ganz genau, warum ausgerechnet er die letzte Wache vor Toröffnung halten musste: Weil er sturzbesoffen damit geprahlt hatte, dass er länger als jeder andere Wache halten könne. Noltgin Stumps und von Nymanns der Johann, zwei Nachbarn, die mit ihm zusammen aus der Bürgerwehr für die Moerspforte eingeteilt waren, hatten nur grinsend daneben gestanden und gar nichts gesagt. Er aber, er musste sein Maul noch weiter aufreißen und erklären, dass er zwei Nächte und den Tag dazwischen an jedem Tor eine Wachschicht übernehmen könnte, das könne schließlich jeder Bengel.
Und da stand er nun am Haupttor Richtung Bonn und fror sich den Arsch ab. Seine Zunge lag ihm wie ein trockener, pelziger Lappen im Mund. Die letzten 36 Stunden ohne Schlaf hatten seinen Kater nicht gebessert. Die ganze Sauferei auf dem Michelsmarkt – wieso ließ er sich nur immer wieder darauf ein? Wieder eine Frage, die er selber beantworten konnte: Weil es ging! Keine Frau, die auf ihn wartete, keine Familie, um die er sich kümmern musste. Noch keine, verbesserte er sich im Stillen, denn verlobt war er schon. Das war der letzte Michelsmarkt in Freiheit gewesen. Das hatte er gefeiert. Nur seine Nachbarn hatten irgendwie weniger gefeiert als er. Als er dann morgens im Stall zwischen zwei Ziegen aufgewacht war, war seine Erinnerung zwar nur langsam zurückgekommen, doch seine Wettgegner hatten seinem Gedächtnis schon wieder auf die Sprünge geholfen. So war er wie ein Nachtwächter von Tor zu Tor gezogen, sechs kleine Tore und vier Haupttore. Immer fast vier Stunden Wachdienst pro Tor. Seine Augen brannten, er hatte Durst und er verfluchte sich, den Branntwein und das Bier. Vor allem aber wusste er überhaupt nicht mehr, um was er überhaupt gewettet hatte. Er traute sich auch gar nicht zu fragen – Theis von Gondorf war sich sicher – viel schlimmer konnte es nicht kommen. Doch noch während er sich den dünnen Wollumhang fröstelnd enger um die Schultern zog, kam es schlimmer. Zuerst hörte er nur den Hufschlag, dann wurde die Stille unterbrochen vom Schnauben verschiedener Pferde. Dröhnend schlug jemand – wahrscheinlich mit dem Knauf seines Schwertes – gegen die Eichenholzbohlen des eisenbeschlagenen Tores.
Kein Ruf, keine Aufforderung zu öffnen, nur ein einzelnes dröhnendes Klopfen.
Theis zuckte zusammen. Wer um alles in der Welt wollte noch vor der Laudes in die Stadt?
Für einen kurzen Moment überlegte er, ob er so tun sollte, als habe er nichts gehört. Doch dann dröhnte ein zweites Klopfen, beinah noch energischer als das erste. Theis von Gondorf war allein am Tor. Gut, normalerweise waren immer drei Bür ger für eine Wache eingeteilt, normalerweise hatte auch kein verkaterter Junggeselle, dem die Augen vor Müdigkeit brannten, Wachdienst. Was sollte
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