Die Toten des Meisters - Konrads erster Fall
er jetzt tun?
Theis von Gondorf gab sich einen Ruck und schob mit beiden Händen den schweren Riegel des T ores zur Seite. Fast wäre ihm der Klotz auf den Fuß gefallen, er fluchte herzhaft . Dann öffnete er einen Torflügel , die Hand am Schwert und spähte hinaus. Dass sich eine Horde Feinde ausgerechnet heute vor „seinem“ Tor einfinden würde, hielt er für unmöglich. Draußen standen sechs Reiter, di e Pferde schnaubten weiße Atemwolken in den Herbstmorge n und tänzelten ungeduldig auf der Stelle. Die Kapuzen ließen die Gesichter der Reiter nu r erahnen. Theis sah kein Wappen, die schweren Umhänge verhüllten die Kleidung der Männer. Nur be i einem der Reiter, einem großen, massigen Kerl, blitzten zwischen dem Umhang ein paar goldene Lilien auf blauem Stoff hervor. Theis war schlagartig nüchtern. Doch bevor er noch etwas tun oder sagen konnte, drängten zwei Reiter ihre Pferde nach vorne, und er musste zur Seite springen, wollte er nicht von den Tieren überrannt werden . Jetzt reichte es ihm: Fluchend zog er sein Schwert und hielt es den übrigen Reitern drohen d entgegen.
„Nicht weiter! Nennt mir Eure Namen und Euer Anliegen!“ Theis’ Stimme, heiser und rau, durchbrach die Stille des Morgens. Die beiden Männer, die bereits durch das Tor geritten waren, hatten ihre Pferde angehalten und warteten schweigend ab.
„Es ist gut, mein Sohn, steck dein Schwert wieder zurück.“ Einer der Reiter schlug seine Kapuze zurück, und Theis blickte in das füllige Gesicht eines Mannes, der sicher älter als 50 Jahre war. Eine lange, gerade Nase und ein leichtes Doppelkinn machten den Mann nicht gerade zu einer Schönheit. Die Haare trug er lang, fast bis zu den Schultern, in der Stirn waren sie gerade abgeschnitten und reichten bis knapp über die Augenbrauen. Der Mann blickte Theis an, freundlich, beinah belustigt, als ob es ihn amüsiere, dass ein einzelner Wächter mit einem Schwert ihn und seine Begleiter aufhalten wollte.
„Ich entschuldige mich für meine ungestümen Begleiter, doch wir freuen uns auf einen Becher warmen W eines und sind froh, endlich angekommen zu sein. Sei so gut, mein Sohn, und sag uns, wo wir das Kloster der Minderen Brüder finden. Und dann ist es wohl ratsam, dass du den Stadtherren meldest, dass Adolf von Kleve, herzoglicher Generalstatthalter der Burgundischen Niederlande, Anton von Burgund, Halbbruder Karl des Kühnen, sein Sohn Philipp von Burgund, Herr von Beveren und ihre Begleiter die Gastfreundschaft der Stadt Andernach erbeten.“
Immer noch sprachlos vor Staunen steckte Theis sein Schwert zurück, besann sich auf seine Manieren und verbeugte sich vor den Besuchern. „Verzeiht, hohe Herren, die gezückte Waffe. Reitet diese Straße entlang und ihr stoßt direkt auf die Klosterpforte neben der Kirche des heiligen Nikolaus.“
Adolf von Kleve dankte ihm mit einem kurzen freundlichen Nicken, bevor er und seine Begleiter durch das Tor ritten. Theis von Gondorf aber verzichtete darauf, die Köln-Pforte weiter zu bewachen. So schnell er konnte, lief er los. Die Gestalt, die sich ins Dunkel einer Hofeinfahrt zurückzog, bemerkte er nicht. Theis rannte durch die Gassen der aufwachenden Stadt. Bürgermeister Emerich von Lanstein war sicher nicht erfreut über die frühe Störung, aber das war Theis von Gondorf egal. Die Burgunder waren in Andernach! Und keine Sau hatte die hohen Herren der Stadt vorgewarnt.
„Fast wäre Emerich von Lanstein in Unterhosen losgerannt – das wäre wahrlich kein schöner Anblick gewesen. Zum Glück hat seine Frau ihn zurückgehalten. Na, und die übrigen Ratsherren hat es auch kalt erwischt . Der Bedendorf soll sogar aus Wut den Nachttopf nach dem Boten geworfen haben – mit Inhalt, wie ich gehört habe, was eine ziemliche Sauerei verursacht haben soll.“ Jupp grinste über das ganze Gesicht. Es war früher Nachmittag, als er bei mir hereinschaute, um mi r die Neuigkeiten des Morgens zu verkünde n und sich auf einen Becher Wein einzuladen. Thomas hatte mir zwar auch schon ein paar Gerüchte erzählt, aber ich wollte Jupp nich t den Spaß verderben. Die Sache mit dem Nachttopf war allerdings auch neu für mich.
Seit mehreren Stunden arbeitete ich draußen an den Löchern und Zapfen des Kreuzes. Keine leichte Arbeit, denn ich wollte natürlich, dass alles möglichst genau zusammenpasste. Während ich mich mit einem Stemmeisen abmühte, saß Jupp gemütlich in der Herbstsonne und schaute mir zu. Ohne von der Arbeit aufzublicken, fragte
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