Die Toten des Meisters - Konrads erster Fall
„Ach, wir lassen uns doch nicht von einem selbstverliebten Schneckenfresser belehren, worum es uns hier geht“, zischte Gernot. Kaum hatte er seinen Satz beendet, sprangen die Burgunder auf und griffen an ihre Seite, doc h nur, um festzustellen, dass sie alle keine W affen trugen. Adolf von Kleve stützte sich auf die Tischplatte und funkelte den jungen Ritter an:
„Das, mein junger Herr, war eine Beleidigung zu viel. Wir erwarten Eure Entschuldigung, bevor wir wieder zusammenkommen können.“
Johann von Brandenburg starrte Gernot entgeistert an, die Burgunder rauschten aus dem Saal. Pater Jacob stöhnte auf: Die Gespräche der Häuser Burgund und Habsbur g endeten schneller, als er sich dies in seinen schlimmsten Alpträumen hätte vorstellen können.
Seine kühnsten Erwartungen wurden übertroffen. Wie sich alles fügte, der Meister konnte sein Glück kaum fassen. Pater Jacob hatte ihn in der Krankenstube aufgesucht, um ihm sein Leid zu klagen. Die Delegationen zerstritten, Habsburg und Burgund bereits nach wenigen Minuten am Rande des Scheiterns. Was für eine herrliche Nachricht! Der Meister hörte nach außen hin verständnisvoll und mit betrübter Miene zu, als Pater Jacob ihm mit stockender Stimme von dem Ablauf der Gespräche berichtete. Innerlich aber jubelte er. Noch heute Abend würde sein Plan W irklichkeit. Pater Jacob redete immer noch, doch der Meister hörte seine W orte nicht. Er sah nur den Armbrustbolzen, sah, wie Blut aus der Wunde schoss. Die Erregung zog durch seinen Körper. Geduld, ermahnte sich der Meister, Geduld – es fehlte nicht mehr viel.
22
Mit einem Reisigbesen fegte ich die Holzreste vor meinem Haus zusammen. Ich überlegte gerade, ob ich heute nicht noch Heinrich zu einer Partie Schach überreden könnte, als Johanna aus dem Hau s trat. So warm und klar der T ag gewesen war, würde doch bald die Sonne untergehen und die Kälte langsam vom Rhein herauf durch die Gassen ziehen. Johanna warf sich ein Wolltuch über die Schultern und blickte sich unschlüssig um. Sie sah mich vor meinem Haus stehen und schenkte mir ei n strahlendes Lächeln. „Ich fragte mich gerade, ob Ihr mich wohl bei einem kleinen Spazier gang begleiten möchtet. Der Abend ist so schön, ich will Thomas bei Pastor Heinrich abholen.“
Erstaunt über mich selber erkannte ich, wie sehr mich Johannas Frage freute. „Gern begleite ich Euch. Ich wollte Heinrich sowieso besuchen.“
Johanna deutete eine Verbeugung an und öffnete schwungvoll die Hoftür. „Dann los, darf ich bitten!“ Ich verriegelte meine Tür und verließ mit Johanna den Hof. Schweigend schlenderten wir nebeneinander her. Doch es war kein unangenehmes, bedrückendes Schweigen. Als ich nach links auf die Hochstraße, Richtung Pfarrhaus, abbiegen wollte, legte mir Johanna kurz die Hand auf den Arm. „Wartet doch einen Moment.“ Sie blickte mich fragend an. „Würde es Euch etwas ausmachen, wenn wir noch zum Rhein hinunter gehen würden? Natürlich nur, wenn Ihr nicht mit Pastor Heinrich fest verabredet seid.“
„Nein“, antwortete ich, „ich bin nicht mit Heinrich verabredet, und ich fände es sehr schön, wenn wir noch ein Stück gemeinsam gehen würden.“
Johanna lächelte erneut. Sie freute sich über die Antwort. Dann ging sie mit so ene rgischen Schritten weiter, dass ich mich beeilen musste, um mit ihr Schritt zu halten.
Wir kamen am städtischen Blidenhaus vorbei. Hier, wo die Waffen der Stadt, die Geschütze und Harnische aufbewahrt wurden, waren ein paar Stadtknechte dabei, schwere Geschosskugeln aus einem Wagen auszuladen. Wir gingen hinunter zur Schmiedewache, einer der kleineren Pforten innerhalb der Stadtmauer, die um diese Zeit noch geöffnet war.
Zu unserer Rechten stapelten sich leere Weinfässer, die darauf warteten, zur Mosel transportiert zu werden. Zu unserer Linken begann der Steinplatz, auf dem die Mühl- und Mahlsteine verladen wurden. Langsam spazierten wir zum Rheinufer. Die ganze Zeit hatten wir noch kein Wort miteinander gesprochen. Johanna schaute auf das Wasser. Die Abendsonne spiegelte sich in den Wellen und färbte die Weinberge auf der anderen Rheinseite rötlich schimmernd. Das Abendlicht lag wie ein goldglitzernder Weg auf dem Wasser.
„Ach, frag nicht nach dem Sommertag,
golden schien das Band.
Ach, frag nicht nach der Liebe,
im Herbst des Tages sie verschwand.
Doch unser Liebe bleibt.
Und wenn ich dann alleine geh,
wart ich auf dich bis ich dich seh
in jenem fernen Land,
golden
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