Die Toten, die niemand vermisst: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
ergreifen.
«Es war ein gutes Gefühl», murmelte er so leise, dass Jennifer sich zu ihm beugen musste, um ihn zu verstehen. «Ihn zu töten. Ein gutes Gefühl. Deshalb denke ich nie daran.»
Er sah sie nicht an. Hatte seinen Blick weiter starr auf den Mond gerichtet. Es schien, als würde er mehr zu sich selbst sprechen als mit ihr. Jennifer erwiderte nichts. Wagte es nicht, sich zu bewegen. Um ihn nicht zu stören, damit er weitererzählte.
«Auch wenn er es verdient hat und Vanja getötet hätte, dürfte sich so ein Schuss nicht gut anfühlen. Ich hätte nicht gedacht, dass ich so ein Mensch bin. Ich will kein solcher Mensch sein. Es macht mir Angst, und deshalb denke ich nie darüber nach.»
Jennifer wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie hoffte und glaubte, dass sie gar nichts zu sagen brauchte. Billy blickte noch immer starr geradeaus. Wären sie in einem amerikanischen Film, würde sie schweigend seine Hand nehmen und tröstend drücken, aber dies war kein amerikanischer Film, also blieb sie still sitzen.
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S ie hatten im Wohnzimmer Platz genommen. Melika war verwundert gewesen, als sie so spät am Abend vor ihrer Tür standen, hatte sie aber trotzdem eingelassen. Hatte roten Tee gekocht und sie gebeten, sich währenddessen schon auf das große schwarze Ledersofa zu setzen, auf das Said einst so stolz gewesen war. Kurz darauf kam Melika mit einer Teekanne und drei Tassen auf einem Tablett aus der Küche. Auch eine Schale mit Baklava hatte sie dabei.
«Viel mehr habe ich leider nicht da, entschuldigt.»
«Das ist doch wunderbar», sagte Shibeka freundlich.
Melika betrachtete ihre Gäste nachdenklich, während sie ihnen die Tassen hinstellte. Dann goss sie den dampfenden Tee aus der schönen Kanne ein. Bis auf das Geräusch des Tees, der auf das Porzellan traf, war alles still. Shibeka wollte gerade den Mund aufmachen, als Mehran das Schweigen brach.
«Mama hat etwas zu erzählen.»
Shibeka nickte ihm dankbar zu und versuchte, so entspannt wie möglich auszusehen, als sie Melikas Blick begegnete. Sie bereitete sich mental auf das Gespräch vor, das nicht leicht werden würde.
«Ich brauche deine Hilfe.»
«Inwiefern?», fragte Melika und nahm ihnen gegenüber Platz. Sie selbst hatte sich keinen Tee eingeschenkt. Das war eine Aussage.
«Ich habe mit einem Fernsehjournalisten gesprochen. Über Said und Hamid.»
Melikas Gesichtszüge wurden hart. Als hätte sich das kleine Gefühl des Unbehagens, das sie die ganze Zeit gespürt hatte, nun in unverkennbaren Missmut verwandelt.
Trotzdem fuhr Shibeka fort: «Er findet es genauso merkwürdig wie ich. Was passiert ist.»
Weiter kam sie nicht. Melika sprang auf und stellte sich direkt vor sie. Ihre Stimme war schrill, und ihre Worte hagelten auf Shibeka ein.
«Hör endlich auf, Shibeka! Ich brauche keinen fremden Mann, der mir erzählt, dass etwas merkwürdig ist.»
«So habe ich das auch nicht gemeint.»
«Doch, hast du. Du glaubst, du wärst die Einzige auf der Welt, die anständig trauert, und jetzt bist du einem Mann in die Arme gelaufen, der dir sagt, dass du recht hast. Aber das interessiert mich nicht!»
«Ich bin keinem Mann in die Arme gelaufen», antwortete Shibeka kontrolliert. «Ich habe Briefe geschrieben, Telefonate geführt, und er war der Einzige, der mir je zugehört hat.»
«Ein Mann? Ein schwedischer Mann? Den du nicht kennst?»
Shibeka nickte matt. Melika lief aufgebracht vor ihnen im Zimmer auf und ab und würde sich vermutlich nicht wieder hinsetzen, ehe sie gegangen waren.
«Hörst du nicht, wie das klingt, Shibeka?» Sie sprach gehetzt. «Wie oft bist du ihm begegnet? Und habt ihr euch allein getroffen?»
Shibeka schlug für einen Moment den Blick nieder, das Gespräch hatte sich in einen Albtraum verwandelt, es steuerte auf eine Katastrophe zu. Plötzlich begriff sie, wie dumm sie gewesen war. Sie hätte wissen müssen, das Melika so reagieren würde. Die schrie nun noch lauter.
«Hast du dich allein mit ihm getroffen? Ist er deshalb so interessiert?»
Sie stieß ihre Worte in einem boshaften Ton hervor und starrte Shibeka an, deren Geduld allmählich am Ende war. Aber sie wusste, dass sie jetzt gelassen bleiben musste. Sich nicht provozieren lassen durfte. Impulsive Gehässigkeiten würden die Sache nur verschlimmern.
«Natürlich nicht. Ich war dabei», hörte sie plötzlich Mehrans ruhige Stimme hinter sich. «Meine Mama weiß, was sich gehört.»
Für eine Sekunde war Shibeka kurz davor, die
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