Die Toten, die niemand vermisst: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
konnte, und sie hatte berichtet, was sie gemacht hatte, seit er Stockholm verlassen hatte. Sie vermisse ihn, ohne ihn sei es so leer und langweilig. Und sie fragte ihn, ob er wisse, wann er nach Hause käme. Leider nicht, antwortete er, und dass er sie ebenfalls vermisse. Nachdem sie sich nun sowieso schon so oft bekundet hatten, wie sehr sie sich vermissten, fürchtete Billy, dass My das Thema Umzug wieder aufgreifen würde, aber zunächst erwähnte sie es nicht. Für einen Moment dachte er, dass sie ihren Vorschlag nur so dahingesagt hatte, bevor er weggefahren war, und es anschließend bereut und ein wenig Distanz zu ihrer Idee entwickelt hatte. Er ertappte sich dabei, dass er insgeheim darauf hoffte, und bekam sofort ein schlechtes Gewissen.
Als ob sie es geahnt hätte, fragte sie plötzlich: «Hast du noch einmal über das nachgedacht, worüber wir am Flughafen gesprochen haben?»
«Nein, ich bin noch nicht richtig dazu gekommen …»
«Aber ich.»
Was sonst.
«Ich möchte, dass wir bei dir wohnen.»
«Bei mir?»
«Ich würde gern nach Södermalm ziehen.»
«Okay …»
Ganz offensichtlich damit zufrieden, dass sie es ihm erzählt hatte, ja sogar mit seiner nicht gerade aussagekräftigen Reaktion, wechselte sie das Thema. Billy vermutete, dass sein Okay von ihr interpretiert wurde als «Schön, dann machen wir es so, hätten wir das also auch geklärt!». Aber er brachte es nicht über sich, ihr zu verdeutlichen, dass er damit eher gemeint hatte: «Schön, dann weiß ich das, schauen wir mal.» Sie hatten noch ein paar Minuten geplaudert und sich am Ende erneut versichert, wie sehr sie sich nacheinander sehnten.
Und jetzt saß er auf der Terrasse und betrachtete den Mond. Schon seit einer ganzen Weile. Hatte seinen Gedanken nachgehangen, die immer wieder um dasselbe Thema kreisten. Das nichts mit der Frage zu tun hatte, ob er mit jemandem zusammenziehen wollte.
Plötzlich hörte er Schritte auf dem Kies, die sich näherten, und drehte sich um. Jennifer kam mit einem Tablett in den Händen auf ihn zu. Es standen zwei Bier und zwei Teetassen darauf. Unter den Arm hatte sie zwei Decken geklemmt.
«Hallo, ich habe gesehen, dass du hier draußen sitzt. Störe ich?»
«Nein.»
«Ich habe Bier und Tee dabei, ich wusste nicht, was du lieber magst», sagte sie, als sie das Tablett auf dem Boden abstellte.
«Gern ein Bier. Danke.»
«Decke?»
Sie hielt zwei grobe, verfilzte, dunkelbraune Decken hoch, auf denen in schmutzigem Gelb das Logo der Schwedischen Tourismusvereinigung prangte. Billy hatte das Gefühl, dass sie älter waren als er. Viel älter. Trotzdem nahm er eine und legte sie sich über die Schultern. Jennifer tat es ihm gleich und setzte sich neben ihn. Er nahm einen Schluck Bier, sie nippte an ihrem Tee und seufzte zufrieden. Ihr Atem verwandelte sich zu weißen Dampfwolken.
«Was machst du hier draußen?», fragte sie, nachdem sie eine Weile schweigend dagesessen hatten.
«Nichts, ich sitze einfach nur da und denke nach.»
«Über die Ermittlung?»
«Nein.»
«Nicht?»
«Nein. Wenn ich nicht arbeite, kann ich eigentlich ganz gut abschalten. Ich glaube, das ist auch besser so …»
Jennifer nickte zustimmend. Es war ja nicht gerade eine neue Philosophie, dass man die Arbeit nicht mit nach Hause nehmen sollte, aber sie war immer noch aktuell. Sie selbst hatte an nichts anderes als den Fall denken können, seit sie im Flugzeug nach Östersund gesessen hatten. Zwar hatte sie versucht, sich nach der Abendbesprechung hinzulegen und sich zu entspannen, aber es war unmöglich. Als sie schließlich wieder aufgestanden war, um sich etwas Warmes zu trinken zu holen, hatte sie Billy draußen auf der Terrasse entdeckt. Und jetzt war sie hier. Sie trank noch einen Schluck von dem Tee. Er wurde schnell kalt.
«Du sahst so konzentriert aus.»
Billy nickte. Er hatte gegrübelt. Über das, was immer wieder zu ihm zurückzukommen schien. Was ihm in vielerlei Hinsicht dringlicher erschien als der Fall.
Konnte Sebastian Bergman tatsächlich Vanjas Vater sein?
Billy war noch nicht dazu gekommen, die Indizien noch einmal durchzugehen. Er wollte alles neu ordnen. Was er wusste und was er nur vermutete. Was dafür sprach und was dagegen. Er musste alle Orte, Zeiten und Angaben noch einmal überprüfen. Eigentlich hatte er das heute Abend erledigen wollen, aber dann war er stattdessen telefonieren gegangen, und seitdem saß er hier. Es war nicht undenkbar. Sebastian und Vanja. Aber es war ein Verdacht, der
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