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Die Toten, die niemand vermisst: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)

Die Toten, die niemand vermisst: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)

Titel: Die Toten, die niemand vermisst: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Hjorth , Hans Rosenfeldt
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lag und schlief. Die Tür war geschlossen, er drückte sein Ohr an das weiß lackierte Holz. Aber er hörte nichts. Also ging er in die Küche zurück und schenkte auch für sie ein Glas Wasser ein. Wenn sie wach wurde, war sie sicher durstig. Sie hatte viel getrunken.
    Vorsichtig öffnete er die Tür und betrat das kleine Gästezimmer. Es war dunkel, nur aus dem Flur fiel ein wenig Licht herein.
    Offenbar schlief sie. Er sah nur die Konturen ihres Körpers unter dem hellbeigen Bettüberzug und ihr Haar. Ihr Gesicht war abgewandt. Vorsichtig zog er die Tür hinter sich zu und betrat das Zimmer. Die Luft war ein wenig stickig, es miefte nach Schweiß und Alkohol. Aber es roch nach Mensch. Das Zimmer war schön, wenn auch ein wenig schmal. Hellblaue Tapeten, eine stilvolle, weiße Kommode und ein Bett mit einem schweren Eisengestell. Lily hatte das alles auf einer Auktion in Norrtälje ersteigert. Hübsche Möbel, die gut zusammenpassten. Insbesondere, wenn sich noch ein lebendes Wesen im Zimmer befand.
    Vorsichtig hob Sebastian den Stuhl hoch, der neben dem Schreibtisch stand, und setzte sich neben das Bett. Seine Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt, und er brauchte kein Licht, um sie zu sehen. Sie atmete ruhig und regelmäßig. Ihr Fuß ragte unter der Decke hervor. Sie hatte ihre kurzen, weißen Sneaker-Söckchen anbehalten. Er lächelte vor sich hin. Plötzlich konnte er das Kind in ihr erkennen. Am liebsten hätte er die Decke um sie herum festgestopft. Er fühlte sich wie der Vater, der er nie für sie gewesen war.
    Der Vater, der er nie werden würde.
    Zu gern wäre er einfach so lange sitzen geblieben, bis das Licht der Morgendämmerung durch die Gardine drang und ihr blondes Haar erstrahlen ließ, hätte sie betrachtet, wenn sie aufwachte und sich umschaute. Aber er sah ein, dass das durchgeknallt und erschreckend auf sie wirken musste. Vorsichtig stellte er das Wasserglas auf dem kleinen Nachttisch ab und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück.
    Plötzlich kam die Erinnerung an Sabine.
    So hatte er nicht sehr oft bei ihr gesessen. Damals hatte er nicht geahnt, wie verletzlich das Leben war, sondern alles als gegeben hingenommen. Eigentlich hatte er sogar nur einmal bei ihr gesessen. Sabine hatte unter einer Magenverstimmung gelitten, und Lily und er hatten sich darüber gestritten, wer nachts über sie wachen sollte. Damals war er ziemlich egoistisch und der Meinung gewesen, dass Lily übertrieb, wenn sie fürchtete, ihre Tochter könnte im Schlaf an ihrem Erbrochenen ersticken. Doch schließlich hatten sie sich die Nacht aufgeteilt, und er hatte bis zum Morgen an ihrem Bett gewacht.
    So wie jetzt.
    Jetzt saß er erneut hier bei seiner Tochter. Diesmal war er nicht irritiert. Diesmal verstand er, dass man seine Kinder in den Momenten lieben musste, in denen sie bei einem waren.
    Nicht in denen, von denen man glaubte, sie würden noch kommen.
    Die Gegenwart zählte.
    Das war das Geheimnis.
    Plötzlich hatte er eine Eingebung. Vorsichtig stand er auf und strich ihr behutsam das Haar aus dem Gesicht. Ihre Stirn fühlte sich warm und zart an. Er küsste sie sanft. Streifte sie nur ganz flüchtig mit den Lippen. Dann schämte er sich ein wenig. Vielleicht sollte er das Zimmer besser verlassen. Vielleicht sollte er vorsichtiger sein, jetzt, da sie freiwillig zu ihm gekommen war und ihn allmählich ins Herz schloss. Vermutlich sollte er das. Aber es war schwer. Fast unmöglich. Er ging zur Tür, öffnete sie, drehte sich um und sah sie erneut an. Sie bewegte sich fast unmerklich.
    «Sebastian?»
    «Ich habe dir nur ein Glas Wasser hingestellt», flüsterte er. Sie konnte den Kuss nicht bemerkt haben. Dann hätte ihre Stimme wütend geklungen.
    «Wie viel Uhr ist es?»
    «Erst kurz vor fünf. Also schlaf nur weiter.»
    «Mmm. Heute ist ein wichtiger Tag.»
    «Inwiefern?»
    «Ich glaube, heute bekomme ich den Bescheid aus den USA. Oder morgen.»
    Sebastian erstarrte.
    «Willst du denn wirklich dorthin? Nach allem, was passiert ist?»
    «Ja, genau deswegen. Gute Nacht.»
    Für einen Moment sah er ihr Gesicht, ehe sie sich wieder umdrehte.
    «Gute Nacht.»
    Also war alles nur ein Traum gewesen. Sie würde nie wieder hier schlafen.
    Sie würde fortgehen.
    Ihn wieder verlassen.

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    A nitha Lund war früh im Büro. Wie immer. Ehe die meisten anderen Menschen überhaupt am Frühstückstisch saßen. Sogar ehe sie überhaupt aufgestanden waren. Meistens kam sie gegen halb sechs. So brauchte sie

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