Die Toten, die niemand vermisst: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
gerade angerufen.»
«Meinst du das ernst?»
«Ja! Glaubst du, ich rufe dich um vier Uhr morgens an, um dich zu verarschen?»
«Nein, meine Frage zielte eher auf deine Formulierung ab. Yankees. Ich meine, benutzt du dieses Wort ernsthaft? Klingt, als wärst du einem Film aus den Fünfzigern entsprungen.»
Alexander meinte, ein Lachen in Charles’ Stimme zu vernehmen. Als würde er die Sache tatsächlich nicht ernst nehmen. Als ginge sie ihn nichts an. Daher beschloss er, das Gespräch so schnell wie möglich zu beenden.
«Hattest du etwas damit zu tun?»
«Womit?»
«Mit dem Tod von Patricia Wellton.»
«Willst du das wirklich wissen?»
Nein, schrie eine leise Stimme in Alexanders Kopf. Nein, will ich nicht. Denn solange ich es nicht weiß, muss ich auch nicht darauf reagieren. Agieren. Ich will es nicht wissen.
Natürlich sagte die Stimme in ihm die Wahrheit, er wollte es wirklich nicht wissen. Aber er war dazu gezwungen.
«Ja.»
«Dann musst du aber vielleicht lügen. Vor den … Yankees.»
Alexander kniff die Augen zusammen. Patricia Wellton war also tatsächlich ermordet worden. Innerhalb von wenigen Minuten hatte sich alles von schlecht über schlimm bis hin zur reinsten Katastrophe entwickelt.
«Denn du hast doch wohl nicht vor, es zu erzählen», ergänzte Charles.
Jetzt konnte Alexander kein Lachen mehr in Charles’ Stimme vernehmen. Ganz im Gegenteil.
«Es spielt ja wohl gar keine Rolle, was ich sage», erwiderte er, bemüht, sich die Resignation nicht anhören zu lassen. «Wenn die Polizei davon ausgeht, dass sie ermordet wurde, erfahren sie es doch ohnehin.»
«Das ist ein Problem.»
«Ja.»
«Aber es ist dein Problem, Alexander. Wenn du es zu meinem Problem machst, werde ich dafür sorgen, dass dein eigenes Problem noch viel größer wird.»
Noch eine Drohung. An diesem Morgen folgten sie dicht aufeinander. Alexander musste nicht überlegen, was er darauf antworten sollte. Der Mann am anderen Ende hatte das Gespräch bereits beendet.
Er legte das Telefon erneut auf den Tisch, stand auf und hielt inne. Er wusste nicht, an wen er sich wenden, was er tun sollte. Eigentlich wusste er nur eines. In dieser Nacht würde er nicht mehr schlafen können.
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S ebastian fand keinen Schlaf. Es war unmöglich. Er hatte versucht, zur Ruhe zu kommen, aber er wälzte sich im Bett nur hin und her – es gelang einfach nicht. Obwohl es in der Wohnung still und ruhig war, schien es, als wäre sie voller Leben.
Sie war hier.
Sie lag im Gästezimmer. Lily hatte damals darauf bestanden, es herzurichten, für den Fall, dass jemand sie besuchte.
Seine Tochter zum Beispiel.
Danke, Lily, dass du so beharrlich warst.
Die Gedanken kreisten in seinem Kopf. Sosehr er es auch versuchte, er bekam sie nicht zu fassen. Es waren zu viele, sie waren zu widerspenstig, Ängste und Chancen in einem wilden Gemisch.
Als er schließlich kapitulierte und aus dem Bett stieg, war es halb fünf. Die Holzdielen irritierten ihn mit ihrem lauten Knarren. Er wollte nicht, dass Vanja von dem Geräusch wach wurde. Sobald sie die Augen aufschlug, würde sie wieder gehen wollen. Er hatte gemerkt, wie sehr sie auf der Hut gewesen war, als sie sich in der Nacht schlafen legte, nervös, dass er sie anfassen würde, dass er sich als der Mann entpuppte, der er gewissermaßen ja auch war. Dennoch war sie geblieben. Er hatte auf eine Weise zu ihr gefunden, die er sich nie hätte träumen lassen. Wenn er nur mehr mit ihr zu tun haben dürfte – dann würde ihr Misstrauen ihm gegenüber irgendwann sicher ganz verfliegen. Sie würde verstehen, dass er sie nie auf die Art und Weise behandeln würde, die sie fürchtete. Und wenn sie das sicher wüsste, würde sie ihn noch mehr schätzen. Er würde das Podest erklimmen. Dennoch würde sie nie herausfinden, warum er sich ihr nicht annäherte. Nie.
Er schlich auf Zehenspitzen durch die Wohnung, doch überall knarrte das alte Holz. Also bemühte er sich nicht weiter und ließ den Lärm zu. Ging in die Küche und goss sich ein Glas Wasser ein. Lauschte, ob sie sich regte, hörte jedoch nichts. Der vergangene Abend erschien ihm noch immer völlig unwirklich. Obwohl er nichts getrunken hatte, fühlte er sich beinahe berauscht. Von all den Möglichkeiten. Das Schicksal hatte sie hierhergeführt. Jetzt lag es an ihm, ob sie wiederkommen würde. Einmal. Und noch einmal. Bis es ihr genauso natürlich erschien, ihn zu besuchen wie einst Valdemar.
Er ging zu dem Zimmer, wo sie
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