Die Toten, die niemand vermisst: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
Fett, aber Peter Gornack hatte dieses Restaurant vorgeschlagen, und sie hatte nicht die Kraft gehabt, ihm eine Alternative zu nennen.
Sie hatte gestern zu viel Wein getrunken. Bei Sebastian Bergman zu Hause. Damit hätte sie nie gerechnet. Aber sie hätte auch nie damit gerechnet, dass man ihren Vater der Wirtschaftskriminalität verdächtigen und verhaften würde. Der gestrige Tag war ziemlich merkwürdig gewesen. Die Welt hatte kopfgestanden. Ihr Vater hatte sie enttäuscht, und Sebastian hatte ganz neue Seiten von sich preisgegeben. Seine Fürsorglichkeit in Kombination mit dem Wein hatte sie Valdemar für einen Moment vergessen lassen, doch nachdem sie bei Sebastian ein kurzes Frühstück eingenommen hatte, waren ihre Gedanken an den Vater unerbittlich zurückgekehrt.
Sie musste mehr erfahren.
Alles erfahren.
Sie hatte überlegt, welche Leute sie so gut kannte, dass sie ihr helfen konnten. Idealerweise bei der Wirtschaftskripo. Gab es dort irgendjemanden? Ja. Peter Gornack. Ihr ehemaliger Polizeischulkamerad und Exfreund, aber sie hatten sich im guten Einvernehmen getrennt, wenn Vanja sich recht erinnerte. Und er hatte nach der Ausbildung einige Jahre in diesem Dezernat gearbeitet, das wusste sie. Ob er noch dort war? Sie rief bei der Zentrale an und wurde zu ihm durchgestellt.
Da er nicht auf den Kopf gefallen war, hatte er natürlich gleich begriffen, aus welchem Grund sie sich meldete. Sie hatten sich schon seit Jahren nicht mehr gesehen, und plötzlich rief sie an und fragte, ob sie zusammen Mittagessen gehen könnten – ausgerechnet jetzt, wo seine Abteilung gerade gegen ihren Vater ermittelte. Aber er hatte trotzdem ja gesagt. Ein Restaurant vorgeschlagen und nun eine Viertelstunde auf sie gewartet.
Als sie hereinkam, stand er von einem Barhocker an einem Wandtisch auf, der unter einem großen Fenster stand, das zur Hantverkargatan zeigte. Der Platz passte ihr gut. Die Tische weiter hinten in dem größeren Raum standen sehr eng, und sie wollte nicht, dass jemand hörte, worüber sie sprachen.
«Hallo! Lang ist’s her», sagte er und schien eine Sekunde zu überlegen, ob er sie umarmen sollte. Doch sie ging zielstrebig auf ihn zu und nahm ihm die Entscheidung ab.
«Ja, allerdings», erwiderte sie, während sie ihre Jacke aufhängte und den Barstuhl neben ihm erklomm.
«Wie geht es dir?»
«Es könnte besser sein.»
«Ich verstehe …»
Sie verstummten. Vanja studierte die Karte. Das Tagesgericht. Tori Katsu mit Chilimayonnaise. Sie wusste nicht, ob es am Restalkohol lag, aber die Chilimayonnaise gab den Ausschlag. Als die Kellnerin kam, bestellte sie das Gericht und ein Mineralwasser. Peter wählte eine große Sushi-Platte.
«Es ist nett von dir, dass du dich mit mir triffst», sagte Vanja, als sie wieder allein waren.
«Das ist doch klar», erwiderte Peter. «Aber ich darf nicht über die Ermittlungen gegen deinen Vater sprechen.»
«Ja. Ich habe gehört, dass er schon einmal unter Verdacht stand, das Verfahren aber eingestellt wurde», sagte Vanja, als hätte sie seine Antwort gar nicht gehört. «Warum werden die Ermittlungen jetzt wieder aufgenommen? Was hat sich denn geändert?»
Peter seufzte. In gewisser Weise hatte er schon geahnt, dass es nur um seinen Job gehen würde, wenn er sich darauf einließ, sie zu treffen. Er war selbst schuld, und ein bisschen durfte er ja sogar erzählen, ohne gegen die Dienstregeln zu verstoßen. Allerdings galt es, jedes Wort vorher auf die Goldwaage zu legen.
«Die alte Ermittlung wurde komplettiert», erklärte er und nahm einen Schluck von dem Leichtbier, das er bestellt hatte, als er auf sie wartete.
«Inwiefern?»
Wie schon gesagt – was hatte er eigentlich erwartet? Vielleicht zumindest, dass sie nicht sofort darauf zu sprechen käme. Dass sie sich zunächst ein wenig darüber austauschen würden, wie es ihnen in der Zeit seit ihrer letzten Begegnung ergangen war, wie ihnen ihr jeweiliger Job gefiel, möglicherweise auch alte Erinnerungen wieder aufwärmen. Aber das war offenbar nicht vorgesehen. Eigentlich wunderte es ihn auch nicht. Die Vanja, mit der er damals zusammen gewesen war, hatte sich nie zufriedengegeben, ehe sie nicht alles wusste. Außerdem war sie ungeduldig.
«Du kannst doch wohl darüber reden, wie sie komplettiert wurde», setzte sie ihn unter Druck. «Wenn gegen ihn ein Haftbefehl erlassen wird, kann ich die Voruntersuchungsakte doch sowieso lesen.»
Peter seufzte noch einmal. Er betrachtete Vanja, während die Kellnerin
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